Die Debatte im Vorfeld der Wehrpflicht-Volksbefragung weckt schöne Erinnerungen an meinen Präsenzdienst. Vorweg: keine Phase meines bisherigen und vermutlich auch meines restlichen Lebens waren so vergeudet bzw. werden so vergeudet gewesen sein wie die achte Monate vom 1. 4. bis 30. 11. 1982.

Beim Einrücken als damals schon fertig ausgebildeter Jurist wurde mir in Aussicht gestellt, in Entsprechung dieser Ausbildung qualifiziert eingesetzt zu werden.

Konkret hat das so ausgesehen, dass ich nach der sechswöchigen Grundausbildung, die eigentlich nur absurd war, einem Amtsrat beim Militärkommando Tirol als Privatsekretär zugeteilt war. Dieser Amtsrat, ein begeisterter Fischer, hat mich regelmäßig ausgesendet, um für ihn Pfrillen zu kaufen. Pfrillen sind kleine, lebendige Köderfische, die im frischen Wasser gehalten werden. Frischwasser war in der Kaserne natürlich billiger als beim Amtsrat zu Hause, wehalb im militärischen Sanitärraum nächst dem Büro des Amtsrates Tag und Nacht das frische Wasser durch große Gurkengläser gelaufen ist, in denen die Pfrillen ihres finalen Einsatzes als Köder harrten.

Gingen die Pfrillen zur Neige, wurde ich vom Amtsrat in die Stadt geschickt, um diese bei einem einschlägigen Händler nachzukaufen. So ging ich dann in voller Uniform mit dem Gurkenglas durch Innsbruck, um meiner Ausbildung entsprechend Kaufverträge über Pfrillen abzuschließen und diese dann in die Kaserne zurückzubringen.

Nicht wenige erstaunte und fragende Blicke von Passanten begegneten mir - militärisch adjustiert und ein großes Gurkenglas mit lebenden Pfrillen vor mir hertragend - auf meinem Weg in die damals in der Innsbrucker Altstadt gelegene Kaserne: Welch raffinierten Kampfeinsatz das österreichische Bundesheer wohl mit diesen kleinen Fischen plant? Auskunft konnte ich aber natürlich keine geben, weil ich ja nicht nur Pfrillen-, sondern auch Geheimnisträger war.

Außerdem war der Amtsrat auch Obmann eines Schachklubs. Und ich verschweige nicht, wie sehr es mir für meine weitere juristische Laufbahn geholfen hat, Einladungen zu Mitgliederversammlungen und Schachabenden verfassen, kuvertieren und versenden zu dürfen. Auch militärisch wird das zweifellos seinen Sinn gehabt haben, wiewohl sich mir dieser wobei bis heute noch nicht wirklich erschlossen hat.

Später, als Strafverteidiger, hatte ich einmal einen Unteroffizier zu verteidigen, der es sich zur Angewohneit gemacht hatte, sein Auto von einem Grundwehrdiener putzen zu lassen Und obwohl das außerhalb der Dienstzeit war, wurde der Unteroffizier glatt wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Was glauben Sie, wie intensiv ich damals an meinen Schach-Pfrillen-Amtsrat gedacht habe?

Heute, wenn großartige Argumente für die Wehrpflicht gewälzt werden, muss ich auch an meine Grundausbildung bei einem Vizeleutnant denken, der beim morgendlichen Antreten nur sinnlos herumgeschrien hat und erst ab ca. zehn Uhr am Vormittag, wenn sein Alkoholspiegel um billiges Geld im Unteroffizierskasino aufs erforderliche Niveau angehoben war, halbwegs erträglich wurde.

Mir fällt ein, wie wir durch den Wald gerobbt und geglitten sind, obwohl uns schon damals niemand erklären konnte, auf welches Bedrohungsbild uns diese Indianerspiele vorbereiten sollten. Und ich denke an einen Kollegen aus der Kompanie, der auf dem Weg in die Kaserne tödlich verunglückt ist, weil er nur nicht zu spät kommen wollte. Und an einen anderen Grundwehrdienerkollegen - aus einer anderen Kompanie -, der sich während des Grundwehrdienstes umgebracht hat.

Machen wir uns nichts vor: in Österreich, das in keinem Bereich zu kraftvollen Reformen fähig ist - siehe die Dauerdebatten im Bildungsbereich -,wird es auch nicht möglich sein, einen sinnvollen Grundwehrdienst einzurichten. Da ist schon die Beamtengewerkschaft vor!

Abgesehen davon ist das Staatswesen heute ein so abstraktes Gebilde, dass die Identifikation damit viel zu gering ist, um damit rechtfertigen zu können, sich für mehrere Monate diesem Staat zur Verfügung stellen zu müssen. Und das ist auch gut so. Unser aller verpflichtender Beitrag zum Gemeinwesen sollte sich darauf beschränken, dass wir unsere Steuern einzahlen. Das ist schon mehr als genug. Es ist jedenfalls in keiner Weise mehr zu argumentieren, dass jungen Männern in einer entscheidenden Phase ihres Lebens viele Monate für eine durch und durch sinnlosen verpflichtenden Wehrpflicht gestohlen werden. Nicht nur, weil meiner für die Fisch' war! (Johannes Margreiter, DER STANDARD, 8.10.2012)