Der 20-jährige Esperno Postl im Juli 1972 im Sparring mit Hans Orsolics (re.), beobachtet von Trainer Jolly Lang. Orsolics hat da schon zwei Drittel einer Karriere voller Triumphe und Tragödien hinter sich. Postl steht am Anfang. Triumphe werden ihm aber keine vergönnt sein.

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Voll im Saft: Esperno Postl, Neo-Profiboxer, 19 Jahre alt.

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Voll im Saft: Esperno Postl, Ex-Profiboxer, 60 Jahre alt.

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Kapfenberg - Wenn die großen Hände die verschränkten Unterarme kneten, unablässig kneten, ist zu ahnen, was in ihnen schlummert. Nach außen hin ist Esperno Postl völlig ruhig, aber der 60-Jährige mit den breiten Schultern kann nur schwer verbergen, dass es ihn nach unten zieht, in den Keller seines Hauses, dorthin, wo zwei Boxsäcke von der Decke hängen und die vielen Kampfplakate an den Wänden.

Postl erzählt detailgetreu über seine Karriere als Profiboxer, über die Karriere eines Mannes, den der Erfolg verschonte. Dass sie ihn in deren Herbst Fallobst nannten, schmerzte mehr als alle kassierten Schläge. Andererseits, Postl, der von 73 Kämpfen 39 verlor, gibt ja selber zu: " Ich hatte schlechte Manager. Und ich war dumm."

Zunächst war er ein armes Kind, geboren in Aflenz, aufgewachsen in einer Barackensiedlung der Böhler-Werke in Kapfenberg mit sieben Geschwistern. Davon, dass der Vater ausschließlich Esperanto sprach, die Ende des 19. Jahrhunderts zur besseren Völkerverständigung entwickelte Kunstsprache , ist ihm nur der Vorname geblieben, "weil er tödlich verunglückt ist, als ich zehn Jahre alt war". Esperno heißt "die Hoffnung", und der Maurerlehrling Esperno Postl war eine große Hoffnung - eine sportliche.

Besser als Zeilbauer

Er gewann Ski- und Radrennen, vor allem aber Leichtathletikbewerbe. Mit 15 Jahren lief Postl die 100 Meter in 11,2 Sekunden, sprang 6,14 Meter weit und 1,85 Meter hoch. "Ich war besser als der Sepp Zeilbauer." Der Mürzzuschlager Josef Zeilbauer, Postls Trainingskollege, sollte später als erster österreichischer Zehnkämpfer mehr als 8000 Punkte erreichen. Und er bestritt 1972 in München die ersten seiner drei Olympischen Spiele. Auch Esperno Postl hätte Olympia in München schmücken sollen, allerdings als Boxer - nach Siegen in mehr als 80 Amateurkämpfen im Weltergewicht.

Derartige Begabungen zog es aber unweigerlich in die seinerzeit lebendige österreichische Profiszene mit einem Hans Orsolics in der Endphase an deren Spitze - oder sie wurden gezogen. "Die Manager haben sich angestellt bei mir. Und ich wollte Geld verdienen." Postl ging mit einem gewissen Albert Hillinger nach Wien, wurde vom legendären Josef Kovarik, der noch heute, mit 82 Jahren, beim BC Wien wirkt, trainiert und verdiente pro Kampf "nur ein paar tausend Schilling".

Eine kräfteraubende Liaison mit einer ebenfalls von Hillinger gemanagten Miss ("Wir waren nächtelang im Chattanooga tanzen und so") führte zum Bruch, Postl ging nach Deutschland, "weil man nur im Ausland wirklich gut verdienen konnte". Die Börsen wurden tatsächlich schnell fetter, 5000, 8000, aber in D-Mark, "ich habe plötzlich zehnmal so viel verdient pro Kampf". Auch die Gegner wurden stärker. Dennoch gewann Postl wesentlich öfter als er verlor.

Nach drei Jahren in Köln kehrte er heim, bedeutend wohlhabender, mit gutem Namen und aus gutem Grund: Esperno Postl heiratete Ursula. Eine Schwangerschaft war schon früher fehlgeschlagen, ein Kind blieb der große Wunsch, aber die Ärzte gaben ihnen keine Chance. "Wir wollten nicht adoptieren, haben uns an Doktor Kemeter gewandt." Mithilfe von Peter Kemeter, an der Uni-Frauenklinik zu Wien einer der, nun ja, Väter der In-vitro-Fertilisation in Österreich, kommt 1983 Robert Postl zur Welt, das erste steirische Retortenbaby, wie der Vater präzisiert.

Zu dieser Zeit hat Esperno Postl die besten Jahre seiner Karriere schon hinter sich, mit bis zu drei Kämpfen pro Monat. Er kam viel herum in Europa, "ich bin gerne geflogen und hab gut verdient". Und Postl schickt sich mit Niederlagen in Serie an, einen zweifelhaften Ruf zu erwerben. Nur noch ein Aufbaugegner sei er, hieß es, der boxen muss, um den Hausbau nahe Kapfenberg zu finanzieren.

Tatsächlich fehlte aber nicht viel auf einen großen Titel. Postl dominiert den dänischen Europameister Jörgen Hansen im Juni 1980 vor dessen Publikum sieben Runden lang nach Belieben, "dann hat er mich aber am Hals getroffen und ich konnte meinen Kopf nicht mehr drehen. Es war wie ein Hexenschuss."

Zwei Jahre davor geht es gegen den Franzosen Alain Marion, einen gefürchteten Schläger. "Vor unserem Kampf hatte er den Deutschen Jörg Eipel ins Koma geschlagen. Aber ich habe 120.000 Schilling bekommen." In der zweiten Runde bricht Postls Unterkiefer. "Ich wollte jede Runde aufgeben, aber dann hat es mir plötzlich Spaß gemacht." In der siebenten Runde geht Marion zu Boden, "wir gingen die volle Distanz. Das war mein bester Kampf." Das Urteil fällt jedoch zugunsten Marions aus, "da haben sogar die Franzosen gepfiffen".

Belogen und betrogen

Betrogen hat sich Postl oft gefühlt, vor allem von Managern wie seinem letzten, dem Autoverleiher Franz Kalal. Und von einem Anwalt, der den Boxer vertritt, nachdem diesem wieder einmal die Hand außerhalb des Rings ausgekommen war, derart, dass das Gericht neun Monate unbedingt für angemessen hält. Postl zahlt 60.000 Schilling, der Advokat handelt sechs Monate aus, "aber ein Drittel wäre mir bei guter Führung ohnehin erlassen worden. Das gilt nur ab sechs Monaten Haft. Ich hab's nicht gewusst."

Postl sitzt die Strafe in Leoben ab, ist vorübergehend seine Stellung bei der Gemeinde Kapfenberg, aber vor allem für immer seine Boxlizenz los - Karriereende mit 38. Nicht wenige halten das für einen Segen.

Sicher auch Ursula, die bis heute, seit 37 Jahren, zu ihm hält. Die kommt bald heim, der Hausherr zeigt schnell seine drei innig geliebten Katzen und drängt dann in den Keller. Bei der Arbeit am Sandsack explodiert der Pensionist. Postl ist schnell, "ich bin heute besser beinander als früher". Dreimal pro Woche übt er. Und er hat oft Trainingsgäste, auch wenn die Kapfenberger Fußballer nicht mehr kommen. " Sie haben immer tagelang Muskelkater gehabt, die Herren Profisportler..."

Postl ist da unduldsam, weil er selbst mit 176 Klappmessern en suite ebenso im Buch der Rekorde stand wie mit 8:33 Stunden Seilspringen ("mit fünf Minuten Pause pro Stunde").

Mit einem "potscherten Leben" wie der um fünf Jahre ältere Kollege Orsolics, den er nie boxte, weil Manager Karl Marchart "ihn beschützt hat", kann Postl nicht dienen. Nur mit verpassten Gelegenheiten. "Für Titel hätte ich mehr riskieren müssen, aber mir ist es ums Geld gegangen, ich habe das Boxen nicht so ernst genommen", sagt Esperno Postl. Und die großen Hände kneten wieder die verschränkten Unterarme. (Sigi Lützow, DER STANDARD 8.10.2012)