"Zehn Minuten vor dem Spiel haben wir uns die gegnerische Aufstellung angesehen. Terry, Torres, Mata, Ramires. Da hat jeder Spieler mal runtergeschluckt."

Foto: wikipedia/steindy

Noch wohnt Georg Margreitter im Hotel, aber der Weg zum Molineux Stadium, der Heimstätte der Wolverhampton Wanderers, ist nicht weit. Im August wurde der Verteidiger von der Wiener Austria in die Championship, also in die zweithöchste englische Spielklasse transferiert. Erste Eindrücke von der Insel besprach er mit Philip Bauer.

derStandard.at: Sie standen am Dienstag gegen Crystal Palace nicht im Kader von Wolverhampton. Was ist los?

Margreitter: Die Hüfte, sie plagt mich seit mehreren Monaten. Ich bin in der Bewegung eingeschränkt. Derzeit warte ich auf einen Scan durch den angeblich besten Spezialisten im ganzen Vereinigten Königreich. Es könnte sein, dass sich ein Überbein am Hüftgelenk gebildet hat. Dann bräuchte ich eine Operation und müsste rund sechs Wochen pausieren. Oder ich habe eine chronische Entzündung. Das würde ein bis zwei Wochen Pause bedeuten.

derStandard.at: Haben Sie die Situation mit Trainer Ståle Solbakken besprochen?

Margreitter: Ja. Ich denke, es ist besser, den Schmerzen gewissenhaft auf den Grund zu gehen, um eine konkrete Diagnose zu bekommen. Und dann wieder voll anzugreifen. Es bringt nichts, wenn ich immer unter Schmerzmitteln trainiere. Derzeit komme ich ohnehin kaum zum Einsatz, ich muss meinen Platz nicht verteidigen.

derStandard.at: Zeigt der Verein Verständnis?

Margreitter: Auch der Klub hat lieber einen fitten Spieler. Ich habe für vier Jahre unterschrieben, da fallen ein paar Wochen kaum ins Gewicht. Mit Verletzungen muss man sehr vorsichtig sein. Ich bin nicht 31 Jahre alt und rette mich mit Schmerzmitteln über die Zeit. Ich bin mitten in meiner Karriere und die besten Jahre kommen erst. Hoffe ich zumindest.

derStandard.at: Wie läuft es abgesehen von der Verletzung?

Margreitter: Die Truppe ist charakterlich top und hat es mir sehr einfach gemacht, Tritt zu fassen. Zudem ist die Infrastruktur hier natürlich ein Wahnsinn. Der Verein kümmert sich um alles. Eine andere Welt, nicht vergleichbar mit dem, was ich bisher gekannt habe. Gerade als junger Spieler kann man hier schnell Fortschritte machen.

derStandard.at: Und sprachlich?

Margreitter: Bisher dachte ich eigentlich, dass ich sehr gut englisch spreche. Im letzten halben Jahr bei der Austria habe ich viel Zeit mit James Holland verbracht, das hat meinem Englisch sicher gut getan. Aber den Black-Country-Dialekt versteht man als Ausländer nicht so schnell.

derStandard.at: Wie wirkt sich das aus?

Margreitter: Man merkt es in der Kabine. James hat immer gesagt, er tut sich schwer, den Humor in einer Fremdsprache zu verstehen – jetzt weiß ich, was er meint. Dabei hat man mir hier nach einem Interview gesagt, dass ich besser englisch spreche als so mancher Ire oder Schotte.

derStandard.at: In der dritten Runde zum League Cup durften Sie an der Stamford Bridge gegen Chelsea über neunzig Minuten ran. Was haben Sie mitgenommen?

Margreitter: Sechs Gegentore und die Kapitänsbinde von John Terry. Die wird sicher einen schönen Platz bekommen (lacht).

derStandard.at: War der Gegner tatsächlich so übermächtig?

Margreitter: Die ersten Minuten wurden wir überrollt, es stand schnell 0:3. Das erste Tor war eine Gemeinheit, dem Treffer ging ein Foul voraus. Der Elfmeter zum letzten Treffer war eine Schwalbe. Wenn wir eine unserer beiden Großchancen verwerten, geht es vielleicht 1:4 aus. Das wäre gerechter gewesen. Aber natürlich haben sie uns auf allen Linien geschlagen.

derStandard.at: Wie haben Sie die Atmosphäre wahrgenommen?

Margreitter: Wir haben schon am Vortag in einem Hotel im Stadion gewohnt. Der Sprung von Österreich zu Wolverhampton war schon groß. Und dann geht es gleich weiter an die Stamford Bridge. Eine unglaubliche Erfahrung. Man kann sich kaum vorstellen, was dort schon vor dem Spiel auf dem Gelände los ist, unpackbar.

derStandard.at: 0:6 klingt trotzdem nicht gut.

Margreitter: Unser Trainer hat komplett durchgewechselt, der Stammformation eine Pause gegönnt. Wir haben darauf spekuliert, dass Chelsea dasselbe macht.

derStandard.at: Und was ist passiert?

Margreitter: Zehn Minuten vor dem Spiel haben wir uns die gegnerische Aufstellung angesehen. Terry, Torres, Mata, Ramires. Da hat jeder Spieler mal runtergeschluckt.

derStandard.at: Wie hat der Trainer reagiert?

Margreitter: Er hat mir gesagt, ich soll Terry bei den Standardsituationen decken. Ich habe mich natürlich sehr auf diese Aufgabe gefreut. Terry und Vidic sind meine Idole auf dem Platz.

derStandard.at: Und wie verlief Ihr Duell mit Terry?

Margreitter: Beim Einlaufen hat der Schiedsrichter per Handschlag Terry herzlich begrüßt. (lacht) Bei der ersten Ecke stehe ich einen Meter von Terry entfernt. Der Schiedsrichter schreit mich an: "Don't touch him, George!" Ich durfte Terry nicht mal ansehen. Bei jedem Standard dasselbe Schauspiel. Wie ein Personenschutz, unglaublich. So etwas habe ich noch nie erlebt.

derStandard.at: In der Liga geht es weit ausgeglichener zu. Wie gestalten sich dort die Kräfteverhältnisse?

Margreitter: Es klingt fast abgedroschen, aber hier kann jeder jeden schlagen. In Österreich wird diesbezüglich immer etwas gejammert, aber de facto ist es in den meisten Ligen so. Ein Durchmarsch ist eher die Seltenheit. Die Profimannschaften sind taktisch so gut eingestellt, dass immer eine Überraschung passieren kann. Unsere Siege waren allesamt knapp.

derStandard.at: Wie sollen wir Trainer Solbakken einschätzen?

Margreitter: Er pflegt die Fußballkultur. Er war zuvor in Deutschland, hat mit dem FC Kopenhagen Erfolge in der Champions League gefeiert. Das Trainerteam hat ein Konzept, das strikt verfolgt wird. Ich habe gehört, dass die Spieler anfangs etwas irritiert waren. Zuvor wurde hier Kick-and-rush praktiziert, der Ball hoch hin und her geschossen.

derStandard.at: Obligatorische Frage an Legionäre: Wie schätzen Sie das Niveau der Liga im Vergleich zu Österreich ein?

Margreitter: Man muss differenzieren. Physisch ist die Liga auf jeden Fall über Österreich zu stellen. Viele Mannschaften spielen aber destruktiv, auf Konter oder nur mit hohen Bällen. Andere probieren wiederum, Fußball zu spielen, zum Beispiel Peterborough United. Vom Spielerischen her ist die österreichische Liga nicht so schlecht, wie sie manchmal dargestellt wird.

derStandard.at: Und wenn wir die Austria mit Wolverhampton vergleichen?

Margreitter: Dann war das spielerische Niveau bei der Austria höher als das momentane bei Wolverhampton. Da bin ich mir ziemlich sicher. Taktisch kommt unsere Mannschaft jetzt dorthin, wo wir mit der Austria unter Peter Stöger waren.

derStandard.at: Wolverhampton hat Sie bei der Austria lange beobachtet. Weiß man das als Spieler eigentlich?

Margreitter: Ich wusste eineinhalb Jahre, dass ich beobachtet werde. Es war ja nicht nur Wolverhampton im Gespräch.

derStandard.at: Welcher Verein denn noch?

Margreitter: Ich habe mich schon vor einem halben Jahr mit dem Chefscout von Stoke City in Wien auf ein Abendessen getroffen. Der Verein hatte mich in der Gruppenphase zur Europa League beobachtet.

derStandard.at: Ist es nicht extrem motivierend, wenn man so massiv unter Beobachtung steht?

Margreitter: Auf jeden Fall. Trotzdem ist es eine eigenartige Situation. Es gibt Ups und Downs. Natürlich beflügelt dich das Interesse. Aber es knickt dich auch, wenn du vor Beobachtern unter Normalform spielst. Das war nicht immer ganz einfach, ich habe mir viele Gedanken gemacht. Bei Zlatko Junuzovic oder Florian Klein war die Situation ähnlich.

derStandard.at: Darf man sich vor Scouts kein schlechtes Spiel erlauben?

Margreitter: Doch. Die wissen auch, dass man nicht jede Partie in Topform absolvieren kann. Was sie eigentlich wissen wollen: Wie gut ist der Spieler, wenn er einen schlechten Tag hat?

derStandard.at: Offenbar gut genug. Wie verliefen die ersten Gespräche mit Wolverhampton?

Margreitter: Den ersten Kontakt mit dem Chefscout hatte ich in einem Hotel am Flughafen Wien-Schwechat. Man wollte sich auch einen persönlichen Eindruck von mir machen. Anschließend wurde ich noch einmal auswärts in Ried beobachtet. Dann kam der Anruf meines Beraters, dass der Austria in den nächsten zwei Tagen ein Angebot gelegt wird.

derStandard.at: Wurde es dann noch einmal spannend?

Margreitter: Man hofft natürlich auf eine schnelle Einigung zwischen den Vereinen. Dann kamen auch schon der Anruf und die Freigabe für den Medical Check. Abflug, Unterschrift, alles erledigt. Ich habe länger gebraucht, um das zu realisieren.

derStandard.at: Ein Gefühl der Zufriedenheit?

Margreitter: Ich bin froh, dass ich meinem Karriereziel, nämlich der Premier League, einen Schritt näher gekommen bin. Aber es liegt auch in der Natur des Spitzensportlers, niemals zufrieden zu sein. Jetzt bin ich da, bin aber schon wieder hungrig. Ich will mich in die Mannschaft spielen und den Aufstieg realisieren.

derStandard.at: Ist der Aufstieg auch das klar definierte Ziel des Vereins?

Margreitter: Absolut. Ein Traditionsklub, der sein Stadion auf rund 40.000 Plätze ausbauen will. Mit dem Budget, der Infrastruktur und diesen Fans gehört der Klub in die Premier League. Wir wollen rauf, aber das wollen die anderen auch.

derStandard.at: Momentan zählt Wolverhampton etwa 20.000 Zuseher pro Spiel. Könne Sie die Stimmung beschreiben?

Margreitter: Sie ist toll, so wie man es von England erwartet. Was es überhaupt nicht gibt, sind Plakate oder Fahnen. Habe ich auch auswärts noch nicht gesehen. In Cardiff und Ipswich war die Stimmung ganz eigenartig, wirklich extrem ruhig. In Cardiff waren 22.000 Zuseher, die sich das Spiel wirklich nur angesehen haben. So richtige Fans habe ich dort nicht ausgemacht.

derStandard.at: Und das Verhältnis zu den eigenen Fans?

Margreitter: In Ipswich haben wir 1:0 gewonnen, es war der erste Auswärtssieg des Vereins seit Monaten. Nach dem Match gehen die Spieler zu den rund 3.000 mitgereisten Fans, klatschen ein wenig und verschwinden. Ich habe unseren Kapitän gefragt, ob wir nicht wenigstens die Welle mit den Fans machen. Aber anscheinend wird hier nicht so ausgelassen mit den Anhängern gefeiert. Vielleicht geht ja beim Aufstieg mehr. (Philip Bauer, derStandard.at, 4.10.2012)