Bad Hofgastein - "Obwohl die Ausgaben für medizinische Forschung in den vergangenen 30 Jahren gestiegen sind, stehen wirkliche Durchbrüche bei verbreiteten Erkrankungen wie Krebs, Typ-2-Diabetes oder Adipositas immer noch aus. - Doch das Potenzial ist immens", sagte Angela Brand vom Institute for Public Health Genomics (IPHG) an der Universität Maastricht am Mittwoch auf dem Europäischen Health Forum Gastein (EHFG).

"Ein Grund dafür ist, dass wir bisher die zelluläre, molekulare und genetische Einzigartigkeit der individuellen Patienten im Wechselspiel mit Umweltfaktoren noch nicht ausreichend einbeziehen können. Doch hier stehen wirklich dramatische Fortschritte unmittelbar bevor", so die Expertin. Einen ersten, wichtigen Schritt in Richtung personalisierter Medizin stellt die stratifizierte Medizin dar, die in vielen Fällen heute schon Anwendung findet. 

Prognosen

"Stratifizierung bedeutet beispielsweise, dass man Gruppen von Patienten definiert, die von einer bestimmten Therapie besonders gut profitieren", erklärte Brand. "So lässt sich mittlerweile schon bei vielen Krebserkrankungen aufgrund bestimmter genetischer Eigenschaften des Tumors sehr präzise vorhersagen, ob der oder die betroffene Patient beispielsweise von einer Chemotherapie einen Vorteil haben wird oder nicht. Das ist angesichts der bekannten Belastungen durch Chemotherapie ein beträchtlicher Fortschritt."

Eine weitere Option bestünde darin, aufgrund genetischer Profile die Nebenwirkungen von Medikamenten vorherzusagen. Auf diese Weise wollen Mediziner Personengruppen definieren, die eine bestimmte Substanz besser oder schlechter vertragen werden. "Diese Möglichkeiten stehen heute vielfach schon zur Verfügung", meint Brand, und weißt darauf hin, dass "sie in der Praxis jedoch noch zu wenig eingesetzt werden".

Einsatz im Behandlungsalltag

Echte personalisierte Medizin geht nach Ansicht der Expertin noch einen Schritt weiter: "Wir gehen in die Richtung, jedes Individuum, jeden einzelnen Menschen mit einer personalisierten Therapie behandeln zu können. Das bedeutet zum Beispiel, dass man aus einem Tumor Stammzellen entnehmen und das Immunsystem des Patienten mit Hilfe von Impfungen gegen diese Zellen aktivieren könnte. Das ist der Unterschied zwischen stratifiziert und individualisiert. Diese Ansätze befinden sich im Moment aber noch im experimentellen Stadium."

Weiter ist man mit mathematischen Modellierungen, die das Verhalten eines Tumors in einem Individuum simulieren und daraus Empfehlungen für die Therapie ableiten. Solche Strategien, die das Max Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin anwendet, stehen kurz vor dem Schritt in die klinische Praxis. Allerdings sei es, so Angela Brand, erstaunlich schwierig, dafür Verständnis in der Ärzteschaft zu finden. 

Bedarf an innovativen Ansätzen im klinischen Alltag besteht reichlich. "Die Tatsache, dass immer mehr Menschen immer älter werden, bedingt zwangsläufig das gesteigerte Auftreten zahlreicher Erkrankungen und damit auch steigende Gesundheitskosten. Das bedeutet, dass die Gesundheitssysteme in der EU unter Druck geraten werden", betonte Kurt Zatloukal  vom Institut für Pathologie der Medizinische Universität Graz. Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, bedürfe es innovativer Strategien in Prävention und Therapie, die wiederum nur das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung in internationaler und interdisziplinärer Zusammenarbeit sein können. 

Biodatenbanken

Eine wichtige Rolle sollen zukünftig Biobanken spielen, also Sammlungen menschlicher Blut- oder Gewebeproben, die mit möglichst detaillierten Informationen über den Lebensstil und die Erkrankungen der Personen, von denen die Proben stammen, vernetzt sein werden. "In Kombination mit den neuesten Technologien in Analytik und Daten-Management bilden diese Biobanken die Basis für ein vertieftes Verständnis der genetischen und nicht-genetischen Ursachen von Krankheiten und Faktoren, die ihren Verlauf beeinflussen. Damit sind sie die Voraussetzung für die weitere Entwicklung der personalisierten Medizin", ist Zatloukal überzeugt.

Die gesamteuropäische Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure (BBMRI) will den Zugang zu Proben von menschlichem Blut, Gewebe, Zellen oder DNA sowie den zugehörigen Daten bereitstellen. "Am Ende dieser Entwicklung sollen Computer-Modelle stehen, die es Ärzten ermöglichen, Erkrankungen und Therapien im individuellen Menschen zu simulieren und zu verstehen und damit ihre therapeutischen Empfehlungen zielgerichteter zu planen", so Zatloukal. (red, derStandard.at, 3.10.2012)