Die Lebendspende einer Niere muss nicht an einer Gewebe-Unverträglichkeit des Empfängers scheitern: Ärzte und Immunologen des Universitätsklinikums Heidelberg haben ein Behandlungskonzept entwickelt, das Hochrisiko-Patienten auf die Transplantation vorbereitet und eine schnelle Abstoßung des Spenderorgans zuverlässig verhindert.

Bisher war es in Deutschland in der Regel ein Ausschlusskriterium für die Lebendspende, wenn das Immunsystem des Empfängers schon vor der Transplantation auf die Gewebemerkmale des Spenders mit Antikörpern reagierte. Die neue Studie wurde im Fachmagazin "Transplant International" veröffentlicht.

Transplantationen über Barrieren hinweg

Menschen mit endgültigem Nierenversagen kann die Lebendspende einer Niere eine lange und leidvolle Wartezeit auf das Organ eines hirntoten Spenders ersparen: Derzeit liegt die durchschnittliche Wartezeit bei sechs bis sieben Jahren, in denen der Patient mehrmals wöchentlich zur Dialyse muss und körperlich abbaut. Doch bei rund einem Drittel der potentiellen Lebendspender passt das Organ nicht zum Empfänger: Blutgruppe oder sogenannte Gewebeverträglichkeitsmerkmale (HLA-Merkmale) stimmen nicht überein. Transplantationen über diese Barrieren hinweg sind heute dennoch möglich. Mit Hilfe komplexer Therapien wird das Immunsystem des Patienten daran gehindert, das neue Organ als Eindringling zu erkennen und zu bekämpfen.

Noch schwieriger wird es, wenn das Immunsystem des Patienten bereits vor der Transplantation sensibel auf die HLA-Merkmale des Spenders reagiert. Das kann der Fall sein, wenn das Immunsystem schon Kontakt zu fremdem Gewebe hatte, z.B. bei Schwangerschaften, Bluttransfusionen oder vorangegangenen Transplantationen.

Abwehrreaktionen lassen sich dann kaum verhindern, da die entsprechenden Immunzellen und Antikörper nicht erst gebildet werden müssen, sondern schon im Blut vorhanden sind. "Für diese Hochrisiko-Patienten kam bisher eine Transplantation nach Lebendspende nur sehr selten in Frage. Das Organ muss bei ihnen schon sehr genau passen und selbst dann ist das Risiko, dass die Niere schnell abgestoßen wird, sehr hoch", erklärt Erstautor Christian Morath, Oberarzt am Nierenzentrum der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg.

Gleiche Chancen

Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Nephrologen und Transplantationsimmunologen erarbeitete ein spezielles Therapiekonzept, um das Immunsystem der Hochrisiko-Patienten zu desensibilisieren. Im Rahmen einer Studie kam das neue Konzept seit 2007 bei zehn Patienten mit sehr hohem Abstoßungsrisiko zum Einsatz.

Die Mediziner führten bei ihnen drei Wochen vor dem geplanten Transplantationstermin beginnend sogenannte Immunadsorptionen durch. Bei diesem Verfahren wird das Blut ähnlich der Dialyse außerhalb des Körpers über einen Filter geleitet, der Antikörper abfängt. Zusätzlich erhielten die Patienten ein Medikament (Rituximab), das die Bildung neuer Antikörper vermindert. So konnte die Menge der Antikörper gegen die HLA-Merkmale des Organspenders um 98 Prozent gesenkt werden. "Damit hatten sie zunächst einmal die gleiche Ausgangssituation wie Patienten ohne HLA-sensibilisiertes Immunsystem", sagt Caner Süsal, Leiter des Antikörperlabors in der Abteilung für Transplantationsimmunologie.

Bei allen zehn Patienten verlief die Transplantation erfolgreich, die neuen Nieren nahmen ihre Arbeit auf. Neun Nieren sind bis heute voll funktionsfähig, eine Patientin verlor ihr Transplantat im dritten Jahr nach der Transplantation aufgrund einer Autoimmunerkrankung.

Bei sieben Patienten bildeten sich erstaunlicherweise auch nach Abschluss der Immunadsorptionen keine Antikörper gegen die HLA-Merkmale des Spenderorgans mehr. "Sie haben besonders gute Chancen, dass ihr Transplantat noch lange funktionieren wird", sagt Professor Süsal. Trotzdem erhalten alle Patienten, wie nach Transplantationen üblich, ihr Leben lang Medikamente, um eine Immunabwehr zu unterdrücken. (red, derStandard.at, 2.10.2012)