Manche Unternehmen greifen in ihren Werbekampagnen das auf, was Akteure aus Politik und Religion versäumen. Mit dem neu entdeckten sozialen (Werbe-)Gewissen treffen sie den Zeitgeist und abgesteckte Marketingziele. Nur: Dürfen sie sich an dieser Stelle schon wieder aus der Verantwortung stehlen?

Mutig oder kalkuliert?

Ein Keks als Träger einer politisch-sozialen Botschaft? In der Welt der Werbung ist bekanntlich nichts unmöglich. Spätestens seit der Facebook-Kampagne von Oreo mit der bunten Gay-Pride-Füllung setzte sich ein rundes Backwerk kurzfristig für die Rechte von Lesben und Homosexuellen ein. Ein mutiger oder kalkulierter Schritt? Wohl beides. Das Lieblingscookie der Amerikaner ist seit dieser Aktion nicht mehr "Everybody's Darling", es erntete Beschimpfungen und zahlreiche Boykottaufrufe.

Das war auch wohl einer der Gründe, warum der Lebensmittelkonzern Kraft Foods die Bildbotschaft auf Facebook wieder entfernt hat. Schade, denn gerade in der viralen Welt der sozialen Netzwerke sollten Entscheidungsprozesse transparent gemacht werden. Wieso hat man sich dazu entschieden? Zuerst viel Staub aufwirbeln, um sich dann geräuschlos aus der Affäre zu ziehen, das könnte auch nicht überall auf Gegenliebe stoßen. Und zu Recht!

Wahl zum "Arbeitslosen des Jahres" nur Marketing-Gag?

Benetton, einer der Miterfinder des "viralen" Marketings noch vor der Zeit der sozialen Netzwerke, hat mit seiner Strategie kontroverse Themen aufzugreifen und zu schockieren stets maximale Aufmerksamkeit erreicht. Die jüngste weltweite Kampagne des Bekleidungsherstellers - "Unemployee of the year" - möchte "die verbreiteten Klischees zur Erwerbslosigkeit von jungen Menschen in Frage stellen und den Glauben an die Kreativität der Jugend in aller Welt mit Nachdruck vertreten". Begleitend dazu lanciert Benetton einen Online-Contest und lädt arbeitslose Menschen zwischen 18 und 30 Jahren dazu ein, Kurzdarstellungen von Projekten auf der Website der "Unhate Stiftung" einzureichen, wo die Online-Community über sie abstimmt. Die 100 Projekte mit den meisten Stimmen werden mit je 5.000 Euro unterstützt, um ihre Realisierung zu ermöglichen.

Dem ist nichts entgegenzusetzen. Fraglich ist allerdings, warum diese Aktion nur auf Jugendliche fokussiert und damit alle älteren (weniger "plakativen"?) Arbeitslosen ausklammert und ob eine Art "Castingshow" den Betroffenen auch wirklich hilft. Spätestens mit Ende der Kampagne wird das Thema "vom Tisch" sein, und abgesehen von den erreichten Marketingzielen der Firma bleibt wohl alles beim Alten. Auch wenn die Kreativität der Jugend sichtbarer gemacht und mehrfach mit je 5.000 Euro belohnt werde, die kritische Situation am Arbeitsmarkt bleibt.

Nur die Werbewirkung im Fokus?

Erfordert Social-Media-Marketing nicht andere Spielregeln? Profitorientierung auf der einen und Charity-Gedanken auf der anderen Seite sind sicherlich ein spannungsreiches Feld. Wenn sich ein Unternehmen entschließt, es zu betreten, sollte die Bereitschaft fürs soziale Engagement etwas weiter reichen als in den klassischen Medienkanälen. "Auswege aus der Arbeitslosigkeit" in Form einer medienwirksamen Castingshow zu suchen wird dem Thema nicht wirklich gerecht und hilft am Ende auch niemandem.

Hier könnten Global Player wie Benetton und Oreo innovativere Wege gehen und aus der weltweiten Vernetzung eine nachhaltigere Win-win-Situation für die Kampagnen-Zielgruppe schaffen. Die Kreativität der Millionen Fans auf Facebook zu diesem Zweck anzuzapfen ist erlaubt, wenn nicht sogar erwünscht.

Es könnte wirklich was bewegt werden

Soziale Netzwerke können ein recht mächtiges Werkzeug sein, das zeigte auch das Beispiel aus dem Letzten Jahr. Während der extremen Kältewelle im vergangenen Februar hatte eine Facebook-Gruppe die ÖBB aufgefordert, die Bahnhöfe in Österreich für Obdachlose zu öffnen. Die ÖBB reagierte rasch: Sozialhilfeorganisationen, wie Caritas oder Volkshilfe wurden beheizte Räume in ganz Österreich für die Unterbringung von Obdachlosen zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wurden alle Bahnhofs-Mitarbeiter der ÖBB angehalten, während der Kältewelle notleidende Menschen nicht abzuweisen.

Das schicke Schlagwort CSR (Corporate Social Responsibility), mit dem sich viele Unternehmen schmücken, bekam hier einen ganz neuen Anstrich. (Joanna Schild, Leserkommentar, derStandard.at, 28.9.2012)