Wieder im Handel: Mordecai Richlers Meisterwerk "Wie Barney es sieht".

Foto: Verlag Liebeskind

Wien - Barney Panofsky, man kann dies gelassen sagen, zählt zu den größten Ekeln der diesbezüglich nicht gerade armen zeitgenössischen Literatur. Warum der Leser ausgerechnet einen 67-jährigen, an Prostatabeschwerden und Ischias leidenden Macher qualitätsarmer Fernsehserien sympathisch finden soll, der laut eigenem Eingeständnis "ein Frauenschänder, eine intellektuelle Niete, ein Plunderproduzent, ein Alkoholiker mit Hang zur Gewalttätigkeit und wahrscheinlich auch ein Mörder" sei, dies ist eine der nicht unwesentlichsten kulturellen Eigenheiten unserer heutigen Zeit.

Als desillusionierter Schöngeist zählt es längst zur Pflichtübung, zwischen dem Wahren und dem Guten und Schönen eine entschiedene Trennlinie ziehen zu können. Es ist das große erzählerische Verdienst des kanadischen Autors Mordecai Richler, uns das Ekelpaket Panofsky in seinem Roman Wie Barney es sieht schmackhaft machen zu können.

1997, vier Jahre vor Richlers Tod fertiggestellt und 2000 erstmals in deutscher Übersetzung erschienen, war diese bald zum "Kultroman" avancierte Lebensbeichte eines Protagonisten, der zudem an durchaus auch kokett eingesetztem Gedächtnisschwund leidet, lange Zeit vergriffen. Nun ist sie bei Liebeskind endlich wieder regulär erhältlich: einem zurzeit mit einem hervorragenden angloamerikanischen Autorenprogramm zwischen James Sallis (Driver), Donald Ray Pollock (Das Handwerk des Teufels), Pete Dexter (Deadwood), David Peace (1974) oder Daniel Woodrell (Winters Knochen) aufgestellten Münchner Verlag.

Wie auch in anderen Romanen Mordecai Richlers, etwa in Cocksure, seiner Ende der 1960er-Jahre in Swinging London entstandenen Satire auf die sexuelle Befreiung, oder in Die Lehrjahre des Duddy Kravitz und Solomon Gursky war hier, bringt Richler nicht nur einen rattenscharfen, von der Präzision in die Bösartigkeit kippenden Schreibstil mit, sondern inhaltlich auch gern den Vorschlaghammer.

Ähnlich wie in den zentralen Arbeiten seines geistesverwandten US-Kollegen Philip Roth zieht Richler seine konservative jüdische Herkunft und deren Zwänge ebenso durch den Kakao wie überforderte Therapeuten, Börsenspekulanten, die Künstlerszene, den Feminismus, den Jugendkult, politischen Links-rechts-Fanatismus sowie die Geisteskrankheit prominenter Menschen, eitle, verlogene Autobiografien verfassen zu müssen.

Bei Richlers schriftstellerischem Wirken sowie auch als rabiater Kolumnist des politischen Geschehens in seiner kanadischen Heimat ging es ihm nie um den olympischen Gedanken, irgendwie auch mit dabei zu sein. Dem im deutschen Raum immer noch zu wenig gewürdigten Richler ging es darum, vom Siegerstockerl aus auf seine Umwelt zu spucken. Das bedeutet Weltrekord!   (Christian Schachinger, DER STANDARD, 27.9.2012)