Im übervollen Haus der Musik nahmen Andreas Khol, Heide Schmidt (Bild), sowie ...

 

Foto: STANDARD/Urban

Hubert Sickinger (Bild) und Werner Kogler eine Demokratie-Schadensaufnahme vor.

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Wien - Es war eine Art "Servicetermin" für die Demokratie, die im Haus der Musik quasi einem Generalcheck unterzogen wurde - zumal es doch einige Rumpler und potenzielle politische Schadensfälle zu beklagen gab. Vier Experten begutachteten das politische Getriebe des Landes unter der Anleitung von STANDARD-Kolumnist Gerfried Sperl. "Beschädigte Demokratie" war das Thema des STANDARD-Montagsgesprächs, und was in der Redaktion angesichts des Umgangs der Regierungsparteien mit dem Untersuchungsausschuss zu Korruptionsaffären im staatsnahen Bereich zu beobachten ist - so viele Leserreaktionen wie noch nie -, spiegelte sich an diesem Abend in einem extremen Publikumsandrang.

Nicht alles war früher besser

"Der Schaden an der Demokratie ist nicht schönzureden", sagte da Heide Schmidt, Gründerin des Liberalen Forums, pochte aber auch auf historische Genauigkeit. Denn früher war beileibe nicht immer alles besser. Da wurde in alter Sozialpartnermanier gepackelt, selbstbewusste Abgeordnete waren auch damals eine ungeliebte Spezies im Parlament, und U-Ausschüsse gab's dann, wenn es sich irgendwie machen ließ, das Leiden großkoalitionär zu teilen. Motto: Noricum-Ausschuss, wenn's auch einen Milchwirtschaftsfondsausschuss gibt. Nur die Aufregung der Bürger sei neu: "Die Parteien haben sich zwar noch nicht geändert, aber die Zivilgesellschaft." Die lasse sich nicht mehr alles stumm gefallen.

Andreas Khol, ÖVP-Seniorenbundpräsident und Ex-Nationalratspräsident, sprach von "Demokratie als Projekt ,in progress‘'". Persönliche Bereicherung oder "Durchstechereien" habe es sicher immer gegeben. Anzeichen einer "Demokratie im Fortschritt" seien aber die "verbesserten Aufklärungsinstrumente und ein selbstbewussteres Parlament". Ohne Kronzeugenregelung etwa, die er - neben der Telekom-Affäre, bei der ein Konzern "die ganze Republik von oben nach unten geschmiert" habe - auch in Kärnten beim Verfahren um illegale Parteispenden, auch an die ÖVP, angewendet glaubt, "wären wir keinen Schritt weiter". Er möchte ein Stück Demokratie aus Deutschland importieren: das dortige U-Ausschuss-Modell (Minderheit beantragt Ausschuss, Mehrheitsvertreter hat Vorsitz mit Disziplinarrecht - den Vorsitz würde Khol in Österreich durch einen "pensionierten Richter, Staatsanwalt, Notar" ersetzen -, Rechtsschutz).

Kogler: Wenn es interessant wird, wird zugedreht

U-Ausschuss Marke Deutschland gefällt auch Grünen-Vizechef Werner Kogler, der ihn jedenfalls als Minderheitenrecht in Österreich will. Selbst Eurofighter-U-Ausschuss-erprobt, sagte Kogler zum jetzigen Abdrehen des Korruptionsausschusses durch SPÖ und ÖVP, dass das eine recht beliebte Form sei: "Wenn's besonders interessant wird, wird sehr gern zugedreht und zugedeckt."

Er erinnerte aber auch daran, dass nicht die Inserate - Khol findet überhaupt, dass eine Regierung gar nicht zu inserieren habe - das Zentrum des Bösen sind, dort throne "als absolut größter inkriminierter Schadensfall" der Telekom-Skandal, bei dem es um "hunderte Millionen geht", betonte Kogler. Er setzt auf "Hoffnung statt orientierungsloser Hysterie oder gar Depression". Denn: Es sei "schon viel Gutes passiert", nicht zuletzt dank der Grünen, auch, weil der öffentliche Druck für mehr Sauberkeit und Moral in der Politik steige. Dass Parteispenden nun offengelegt werden müssen oder es neue Strafbestimmungen gebe, verbucht Kogler eindeutig auf der politischen Habenseite.

Sickinger: Beschädigt sind die Parteien

Dem Politologen Hubert Sickinger (Uni Wien) ging die Demokratie-Beschädigungs-These "eigentlich zu weit: Beschädigt sind natürlich die Parteien" - ausgenommen die Grünen. Rund um den "sehr gut funktionierenden U-Ausschuss" hätten die Regierungsparteien ein "sehr seltsames Schauspiel" geliefert. Für Sickinger, Vizepräsident des Beirats der Österreich-Sektion von Transparency International, "ein Akt der Selbstbeschädigung", der viel vom durchaus lobenswerten Transparenzpaket, das ja als "Befreiungsschlag gedacht war", zunichtegemacht habe.

Er hofft auf die Parlamentarier, besser: andere Parlamentarier. Denn jetzt, schätzt der Politologe, haben wohl fast zwei Drittel aller Abgeordneten ihren Schwerpunkt "sicher nicht in der inhaltlichen Arbeit", sondern sind eher in Bierzelten, auf Bällen oder in Parteisektionen gefordert, um dort "Volksnähe zu spielen". Das unausgesprochene Anforderungsprofil für den Ideal-Abgeordneten sei noch immer "eher der Typus des robusten Intervenierers".

Gut für die Parteien. Für die Demokratie nicht unbedingt. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 26.9.2012)