"Nationale Träume - Ungarns Abschied von Europa?": Mittwoch, 22.30 Uhr, ORF 2)

Foto: ORF/DOR Film/Stephan Musil

Sie haben dicke Bäuche und geben sich kampfbereit zur Rettung der Heimat. Das passt nicht ganz zusammen und ist doch irgendwie stimmig. Mit einer Angelobungsszene der nationalistischen Ungarischen Garde beginnt die Dokumentation Nationale Träume - Ungarns Abschied von Europa? der deutschen TV-Journalistin Andrea Morgenthaler und des Publizisten Paul Lendvai (Mittwoch, 22.30, ORF 2).

Was ist passiert, dass der einst liberal geprägte Freiheitskämpfer Viktor Orbán zum "Puszta-Putin" mutieren konnte, der die EU mit der Sowjetunion vergleicht und seine Herrschaft mit Maßnahmen zementiert, die nach Ansicht vieler Kritiker außerhalb des europäischen Wertekodex liegen?

Die knapp einstündige Dokumentation liefert ein eindrückliches Stimmungsbild, lässt Gegner und Anhänger Orbáns, Kenner seines Werdegangs zu Wort kommen, wie auch Parteigänger der rechtsextremen Partei Jobbik ("Bewegung für ein besseres Ungarn"). Ungarns nationales Trauma, der Friedensvertrag von Trianon 1920, wird angesprochen, der Volksaufstand 1956, das Roma-Problem.

Orbáns Ausspruch "Wir wollen, dass sich Ungarn um seine eigene Achse dreht" steckt einen Schlüssel ins Schloss. Aber er wird nicht umgedreht, und so bleibt die Tür zu einem tieferen Verständnis der magyarischen Seele verschlossen: Das Gefühl der Einzigartigkeit und des Unverstandenseins - warum ist es bis heute so stark, dass es sich jederzeit politisch instrumentalisieren lässt?

Unbeantwortet bleibt auch die Frage des Bürgerrechtlers und Publizisten Rudolf Ungváry, warum die "andere Seite" ihren humanistischen Idealen nachhänge, aber nicht kämpfen könne. Vorerst. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 26.9.2012)