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Mädchen haben es zuweilen nicht leicht. In Indien noch weniger, als bei uns.

Foto: AP/Kumar Sing

Auch das ist Wirtschaft: Wie reagieren die Menschen auf Anreize? Der US-Wirtschaftswissenschafter Steven D. Levitt und der US-Journalist Stephen J. Dubner widmen sich schon seit geraumer Zeit den Fragen, die auf den ersten Blick mit dem, was in der Regel unter Wirtschaft verstanden wird, wenig gemein haben.

Das Motto der beiden Herren: "Ob Sie es glauben oder nicht, wenn Sie verstehen, welche Anreize dazu führen, dass Lehrer oder Sumo-Ringer pfuschen, dann verstehen Sie auch, wie es zur Hypothekenblase kam. Denn Menschen reagieren auf Anreize nicht unbedingt in der Art und Weise, dass ihre Reaktionen vorhersagbar oder sinnfällig wären. Eines der mächtigsten Gesetze des Universums ist deshalb das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen".

Fehlende Frauen

Dubner und Levitt widmen sich etwa (in ihrem Buch "SuperFreakonomics") der immer noch unsagbar schlechten Stellung der Frauen in Indien. Trotz der Fortschritte ist das Land in weiten Teilen noch entsetzlich arm, Lebenserwartung und Alphabetisierungsrate sind niedrig, Eltern haben lieber Söhne als Töchter. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Buben werden zu Männern, die Geld verdienen und später ihre Eltern finanziell unterstützen. Mädchen kosten Geld. Auch wenn das System der Mitgift schon lange kritisiert wird, ist es immer noch üblich, dass die Brauteltern dem Bräutigam und seiner Familie Bargeld, Autos oder Grundbesitz schenken und außerdem für die Kosten der Hochzeit aufkommen.

Mädchen gelten in Indien so wenig, dass es im Land rund 30 Millionen weniger Frauen als Männer gibt. Die meisten dieser "fehlenden Frauen", wie der Wirtschaftswissenschafter Amartya Sen sie nennt, sind vermutlich getötet worden. Entweder indirekt, weil ihnen die Eltern Nahrung und medizinische Versorgung vorenthalten haben oder direkt, indem das Mädchen nach der Geburt umgebracht, oder immer öfter durch Abtreibung nach einer pränatalen Geschlechtsbestimmung gar nicht geboren wird. Geschlechtsbestimmung via Ultraschall ist selbst in kleinsten indischen Dörfern, wo es an Strom und sauberem Wasser mangelt, für die Frauen verfüg- und bezahlbar.

Ignorierte Gesetze

Die Regierung versuchte durch das Verbot von Mitgiften und geschlechtsspezifischen Abtreibungen eine Trendwende zu bewirken. Doch diese Gesetze wurden weitgehend ignoriert. Daneben gab es auch finanzielle Maßnahmen zur Unterstützung indischer Frauen. Etwa eine Initiative, die Frauen auf dem Land Geld zahlt, damit sie weiblichen Nachwuchs nicht abtreiben. Auch die Mikrokredit-Industrie, die Frauen als Kleinunternehmerinnen fördert, oder unterschiedliche Wohlfahrtsprogramme internationaler Hilfsorganisationen zielten in diese Richtung.

Außerdem wollte die indische Regierung kleinere Kondome in den Handel bringen. Es hatte sich herausgestellt, dass Kondome bei indischen Männern oft versagten, weil der Penis bei 60 Prozent aller indischen Männer zu klein für die Kondome ist, die nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation hergestellt werden. Die Erkenntnisse verdanken sich einer zweijährigen Untersuchung, bei der Penisse von über tausend indischen Männern vermessen und fotografiert worden waren.

Fernsehen funktioniert

Die meisten Projekte erwiesen sich als kompliziert, teuer und bestenfalls nominell erfolgreich. Was tatsächlich geholfen hat, hat mit solcherart gezielter und gut gemeinter Intervention eher wenig zu tun, kam nicht von der indischen Regierung und nicht von einer wohlmeinenden NGO, sondern schlicht aus dem Reich der guten alten unternehmerischen Entwicklungen. Dem „Fernsehen" gelang offenbar, was allen ausgefeilten Strategien versagt geblieben ist. Öffentlich-rechtliches Fernsehen funktionierte über die Jahrzehnte in Indien eher recht als schlecht. Schlechter Empfang und ein Mangel an Programmen zog die Menschen kaum vor die Kiste. Weil in jüngster Zeit aber die Preise für Geräte und Ausstrahlung drastisch gesunken sind, schafften es Shows, Soaps und News via Kabel- und Satellitenfernsehen bis in entlegenere Ecken des Landes. 

Die große weite Welt hielt Einzug in vielen Dörfern Indiens und verschaffte eine genaue Datenbasis, die Überraschendes ergab.

Das amerikanische Ökonomenpaar Emily Oster und Robert Jensen maß die Veränderungen in verschiedenen Dörfern und fand überzeugende Beweise dafür, dass das Fernsehen echte Veränderung brachte. Bei Kabelfernsehen-Familien sank allmählich die Geburtenrate, was in einem Land wie Indien generell mehr Autonomie und weniger gesundheitliche Risiken für Frauen bedeutet. Diese Familien waren außerdem eher geneigt, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Und noch etwas änderte sich: Die Bereitschaft der Frauen häusliche Gewalt zu akzeptieren. So wie es aussieht, hat also das Kabelfernsehen in Indien jene positive Wirkung, die man in unseren Breiten schon lange in Frage stellt. (Regina Bruckner, derStandard.at, 24.9.2012)