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Vier bis fünf Jahre später in Pension gehen? Laut Experten ist das die Zukunft

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Wien - Die Experten würden sich am liebsten selbst abschaffen. "Ich kann verstehen, dass uns die Leute nicht mehr sehen können", sagt der Sozialforscher Bernd Marin. Das Thema Pensionsreform hänge eben jedem beim Hals heraus - kein Wunder bei 35 Novellen in den letzten 20 Jahren.

Nun soll das "Weiterwursteln" ein Ende haben: Mehr als 50 Persönlichkeiten aus dem wirtschaftspolitischen Bereich richten an die Politik einen Appell für eine "umfassende und nachhaltige" Pensionsreform. Neben vielen Wissenschaftern haben etwa die Ex-Finanzminister Hannes Androsch und Andreas Staribacher (SPÖ), der Unternehmer Hans Peter Haselsteiner (Liberale) oder Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen unterschrieben. "Von links-sozialistisch über stockkonservativ bis neoliberal ist alles vertreten", sagt Marin.

Geht es nach den Erfindern, dann soll das neue Modell alle Stückeln spielen: Es soll für die Versicherten verständlich sein, sich automatisch an die steigende Lebenserwartung anpassen und damit dem Staat Geld ersparen. Weil künftig immer weniger Erwerbstätige immer mehr Pensionisten erhalten müssen, droht der Zuschuss der öffentlichen Hand ins Pensionssystem massiv anzusteigen - sofern die Leute nicht später in den Ruhestand gehen.

Vorbild Schweden

Vorbild ist das schwedische Modell eines "Beitragskontos auf Umlagebasis", auf dem erst einmal die alten, im aktuellen System erworbenen Ansprüche verbucht werden. Für die Zukunft soll dann ein simples System gelten: Eingezahlte Beiträge werden gutgeschrieben und entsprechend der Wirtschaftsleistung verzinst. Bei Pensionsantritt wird die angehäufte Summe durch die durchschnittliche restliche Lebenserwartung dividiert - daraus gibt sich die monatliche Pension.

Ergo bekommt jeder nur noch so viel ausgeschüttet, wie er selbst eingezahlt hat. Aus Steuergeld finanziert der Staat nur noch die sogenannten Ersatzzeiten, etwa für Kinderbetreuung oder Arbeitslosigkeit, und deckt gegebenenfalls die Differenz zu einer Mindestpension über der Armutsgrenze ab. Subventionierte Sonderformen wie die mittlerweile eingeschränkte Hacklerregelung, die einen günstigen Weg in Frühpension erlaubt, fallen weg.

Die Menschen können sich demnach selbst aussuchen, wann sie in Pensionen gehen. Wer will, kann das auch schon mit 55 tun - muss dann aber die finanziellen Konsequenzen in Form einer mageren Rente tragen. Ob es überhaupt noch ein vorgeschriebenes Mindestantrittsalter geben soll, darüber gehen die Expertenmeinungen allerdings auseinander. Während Marin dies für überflüssig hält, ist Ex-Weltbank-Direktor Robert Holzmann, ebenfalls unter den Initiatoren, dafür.

Weil der Staat ja seine Zuschüsse einschränkt, müsste in der Regel freilich deutlich länger gearbeitet werden als bisher. Um auf einen ähnlichen Ruhensbezug wie derzeit zu kommen, müssten Versicherte im neuen Modell um vier bis fünf Jahre später in Pension gehen, schätzt Holzmann: Für die Generation der heute 40-Jährigen rechnet er mit einem Antrittsalter von etwa 70 Jahren.

Keine Rolle spielt im Expertenkonzept die private Pensionsvorsorge: Wer sich das leisten wolle, könne natürlich Geld am Kapitalmarkt ansparen, sagt Marin - eine Förderung ist im Forderungspapier aber nicht vorgesehen.

Ebenso fehlen Reformschritte, die auch die Arbeitgeber spüren: Marin hat für Pönalen für Unternehmen plädiert, die ältere Arbeitnehmer in die Frühpension abschieben, konnte sich im Kreis seiner Mitstreiter aber nicht durchsetzen. Ulrich Schuh vom industrienahen Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria etwa sieht keinen Bedarf: Er hält die falschen Anreize im Pensionssystem für den Hauptgrund der vielen Frühpensionen.

Reform in fünf Jahren

Dass die Regierung nun alles liegen- und stehenlässt und justament im Wahlkampf eine Pensionsreform bastelt, erwarten sich die Initiatoren selbst nicht. Sie wären vorerst schon zufrieden, wenn eine Expertenkommission eingesetzt wird, die binnen eines Jahres einen detaillierten Vorschlag vorlegen könnte. Letztlich würden die steigenden Pensionskosten die Politik zum Handeln zwingen, glaubt Schuh: "Innerhalb von fünf Jahren wird es eine Reform geben." (jo, DER STANDARD, 25.9.2012)