Kinderpsychiater und Autor Paulus Hochgatterer: "Streiten kann trainiert werden."

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"Räume, in denen es möglich ist, unbequeme Dinge zu sagen, Dinge angstfrei sagen zu können, von denen anzunehmen ist, dass sie andere stören, diese Räume, die fehlen", sagt Kinderpsychiater und Buchautor Paulus Hochgatterer. Er beobachte, dass in einer Zeit, in der es - objektiv betrachtet - so wenig massiv bewaffnete Konflikte auf der Welt gebe wie heute, die Angst davor, einen Konflikt auszutragen, noch nie so groß war. Ein Paradoxon, das er selbst noch nicht ganz durchgedacht habe, sagt er.

Hochgatterer wird im Rahmen der GLOBArt Academy (vom 27. bis 30. September im Kloster Und) im Gespräch mit dem Philosophen Arno Böhler zum Thema Konflikte zu sehen sein. Richtet man den Blick auf die derzeit öffentlichen Konflikte, falle auf, dass diese viel mit frühkindlichen Mechanismen zu tun haben, sagt er. Diese Konflikte werden mit den " polaren Konstrukten" des Vernichtet- oder Verlassenwerdens verbunden, also stets mit einem Sieger und einem Verlierer. "Das hat mit einer reiferen Auseinandersetzung ganz wenig zu tun", so Hochgatterer weiter.

Kein besonders gutes Zeugnis. Dennoch eines, das deutlich macht, wie negativ konnotiert der Konflikt im allgemeinen kommunikativen Mainstream hervorsticht. Dabei sei, so Hochgatterer weiter, Ziel jedes Konfliktes immer der Kompromiss und nicht der Sieg über einen anderen.

Kommunikation hat mehrere Ebenen

Die Trennung zwischen der sachlichen und der sozialen sowie der affektiven Ebene - auf der weder Zuneigung noch Liebe, sondern Angst und Wut stattfinden -, scheint vielen ganz offensichtlich schwerzufallen. Sich mit dem anderen auseinanderzusetzen und sich auf einem neuen Niveau zu einigen, das fehle.

"Ich habe oft den Eindruck, dass die Zeit fehlt, um sich differenziert mit einem Konfliktinhalt auseinanderzusetzen. Und ich habe den Eindruck, dass in einer Gesellschaft, in der die Frage nach dem Besseren, dem Schnelleren, dem Stärkeren immer höher bewertet wird, der Gedanke 'Fühl dich in den anderen ein' oder 'Überlege, wie es dem anderen geht' nicht wirklich gepflegt wird", so Hochgatterer weiter.

Spielen fördert Konfliktfähigkeit

Wie aber kann Konfliktfähigkeit gefördert werden? Dieser Weg, sagt der Kinderpsychiater, führte immer schon über das Spiel. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kinderpsychologe oder eine andere erwachsene mediierende Person etwa zu einem Konflikt zwischen zwei Kindern hinzugezogen wird, deutlich gestiegen. "Das Vertrauen darauf, dass Kinder in der Lage sind, das, was wir Konflikt nennen, intuitiv und mit ihren Identifikationsmöglichkeiten lösen können, dieses Vertrauen ist momentan nicht besonders groß", sagt er.

Mut, Mut und noch mehr Mut

Genau das aber sollte man nicht nur Kindern, sondern allen Menschen zumuten und auch fördern, sagt er. Streiten sei etwas, das trainiert werden kann. Hochgatterer führt als Beispiel ein Projekt in einem Wiener Gymnasium an, in dem Schüler als Streithelfer eingesetzt werden. "Nicht Streitschlichter", sagt er, "dort werden Konflikte bewusst ausgetragen, mit einem Streithelfer als Schiedsrichter." Mehr Projekte dieser Art wären wünschenswert.

"Wir haben zu wenig Vertrauen in die Tatsache, dass wir alle nicht in die Welt gesetzt wurden, um einander gleich wieder zu eliminieren, sondern um mit dem anderen gut auszukommen. Wenn wir das mehr verinnerlichen würden, dann würden wir auch mehr in Konflikte gehen", sagt Hochgatterer. Sein Wunsch: mehr Mut in der sozialen Begegnung, mehr Mut im Vertreten eigener Positionen und ein Mehr-infrage-Stellen von Machtstrukturen. (Heidi Aichinger, STANDARD, 22./23.9.2012)