Margarethe Hilferding (1871-1942).

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Margarethe Hilferding, Ärztin, Lehrerin und Individualpsychologin, hat wie so viele den Wahnsinn der Nazi-Diktatur nicht überlebt. Ende September 1942 wurde sie von Theresienstadt in das Konzentrationslager Treblinka gebracht. Die 1871 geborene und inzwischen betagte sozialdemokratische Jüdin überlebte den Transport am 23. September nicht.

Hilferding war eine der einflussreichsten IndividualpsychologInnen im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Arbeiten Ausdruck ihres sozialpolitischen Engagements im "Roten Wien". Sie nannte sich zeitlebens Margarete oder Margret, profitierte von Errungenschaften wie dem freien Universitätszugang für Frauen und war mit ihrer Forderung nach weiblicher Selbstbestimmung in Abtreibungs- und Verhütungsfragen eine Pionierin der Zweiten Frauenbewegung.

Erste ordentliche Hörerin der Medizin

Aufgewachsen in einer großbürgerlich-jüdischen und sozialdemokratischen Familie, bekam Hilferding schon bald die Unannehmlichkeiten des christlich-sozial geführten Wien der Lueger-Ära zu spüren: Trotz bester Abschlussnoten erhielt sie keine Anstellung als Lehrerin. Darauf begann sie als außerordentliche Hörerin Medizin zu studieren und erwarb schließlich 1903 als erste ordentliche Hörerin der Medizin an der Wiener Universität das Doktorat.

"Unser einziges Doktorweib beteiligt sich an der Adlerschen Revolte, als richtige Masochistin ... Wir sind ja überhaupt in vollem Zerfall", schrieb Sigmund Freud an C. G. Jung, nachdem Hilferding und Alfred Adler aus der "Mittwoch-Gesellschaft" (später: Wiener Psychoanalytische Vereinigung) ausgetreten waren. Sie wurde schließlich Präsidentin des von Adler gegründeten Vereins für Individualpsychologie, war Leiterin und ärztliche Mitarbeiterin der individualpsychologischen Erziehungsberatungsstellen in Wien und Mitarbeiterin am Mariahilfer Ambulatorium.

"Ärztin in einem Proletarierbezirk"

1910 wurde Hilferding das, was sie sein wollte: "Ärztin in einem Proletarierbezirk". Im 10. Wiener Gemeindebezirk war sie Kassenärztin für Allgemeinmedizin und zusätzlich Schulärztin. Neben ihrer ärztlichen Tätigkeit engagierte sich Hilferding, die auch Bezirksrätin in Favoriten war, in wissenschaftlichen Arbeiten, Vorträgen und Kursen zu Frauenfragen, Sexualität, Geburtenregelung, Aufklärung und Erziehung. Für Aufregung im Lager der politischen GegnerInnen sorgte 1926 ihre Broschüre "Geburtenregelung. Erörterungen zum § 144", die in einer von Sofie Lazarsfeld herausgegebenen Schriftenreihe erschien und in der es um die umstrittene Liberalisierung der Abtreibungsbestimmungen ging.

Großes Publikum hatte Margret Hilferding 1930 als sie auf dem 4. Weltkongress der Weltliga für Sexualreform im Arbeiterheim Favoriten sprach. Der Kongress war für sie bedeutend, weil sich dort offiziell SozialdemokratInnen, IndividualpsychologInnen und PsychoanalytikerInnen trafen. Die Demaskierung der Moral, Wohnungsnot und Sexualreform wurden hier ebenso besprochen wie die Sexualgesetzgebung und Empfängnisverhütung. Hilferding forderte die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln durch die Krankenkasse und die Straffreiheit der Abtreibung. Damit nahm sie jene Forderungen der Zweiten Frauenbewegung in den 1970er Jahren vorweg, die auch 2012 noch auf ihre Umsetzung warten. 

"Schon wieder Psychologie bei Lazarsfeld"

Die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei und aller ihrer Organisationen im Jahr 1934 hatte auch Auswirkungen auf Hilferding und ihre KollegInnen: Viele Einrichtungen mussten aufgelöst werden, gegen Vereine und politische Mitglieder und FreundInnen wurde polizeilich ermittelt. "Schon wieder Psychologie bei Lazarsfeld", titelte das "Wiener Morgenblatt" am 25. Jänner 1937 und spielte damit auf die unzähligen Treffen und Aktivitäten in der Wohnung der Familie Lazarsfeld an, in der Hilferding 1934 erstmals verhaftet wurde.

In diesem Jahr wurde auch ihr Kassenvertrag gekündigt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1938 wechselte sie in das von Viktor Frankl geleitete Rothschild-Spital, wo sie bis 1941 tätig war. Zuvor wurde die Jüdin aus ihrer Wohnung vertrieben und bezog eine Armenwohnung in der Grünentorgasse 6 im 9. Wiener Gemeindebezirk. 1942 wurden ihr Sohn Karl (trotz Konvertierung zum katholischen Glauben) und ihre Schwester Opfer der Nationalsozialisten in Konzentrationslagern, so wie Margret Hilferding auch. (eks, dieStandard.at, 21.9.2012)