Marco Donnarumma bei der Arbeit, die darin besteht, die Frequenzen von Muskelregungen für eine Komposition einzufangen, was eine eigene Choreografie erfordert.

Foto: Chris Scott

Aus Sensoren und Software entwickelte er die Xth-Sense-Technologie, um den Sound von Bewegungen hörbar zu machen - und die Kommunikation von Mensch und Maschine zu reflektieren.

Wenn der Computer zum Instrument wird, stößt der Musiker schnell an Grenzen. Hard- und Software geben ein Set an Kontrollmöglichkeiten vor. Mehr lässt sich aus den Gerätschaften nicht herausholen. Das störte den Musiker Marco Donnarumma, weshalb er begann, mittels Lötzinn und Programmzeilen neue Schnittstellen zwischen Mensch und Computer zu schaffen. In Experimenten wurde die E-Bassgitarre zum Eingabegerät, die sensibler als eine Maus den Rechner lenkt. Der Antrieb für seine Tüfteleien ist es, nicht nach den gängigen Regeln des Computersystems spielen zu müssen. 2010 führte ihn dieser Wunsch in das Feld des Biomedical Computings. Dabei lernte er das MMG (kurz für Mechanomyogramm) - den weniger bekannten Bruder des EEGs - kennen, das jene Schwingungen wiedergibt, die ein Muskel abgibt, wenn er in Bewegung ist. Wenn wir uns bewegen, erzeugen wir mechanische Vibrationen, und die kann man durchaus als Töne bezeichnen. Der menschliche Körper ist ein Musikinstrument und seine kinetische Energie sein Sound. So fasst Donnarumma seine Erkenntnis zusammen, die ihn seitdem beschäftigt und an der "Xth Sense Biosensing Wearable Technology" arbeiten lässt.

Dafür bietet ihm seine Forschungstätigkeit am Sound Lab Edinburgh einen guten Rahmen, der ihn einerseits in die Welt der Wissenschaft integriert, ihn aber gleichzeitig nicht seine künstlerischen Methoden vergessen lässt. Kunst versucht aus seiner Sicht, die Wahrnehmungsgrenzen neu zu definieren, wohingegen Wissenschaft immer neue Methoden entwickelt, um die Grenzen festzumachen oder sie zumindest einzugrenzen. In der Technologie überschneiden sich die beiden Auffassungen der Welt; und Donnarumma findet darin Werkzeuge, um Signale bewusstzumachen, die der Körper sendet.

Ständig ist der Mensch eine dynamische Struktur aus vibrierenden Akkorden. Jede Muskelregung produziert sehr tiefe Frequenzen, die nur unter speziellen Bedingungen direkt hörbar werden. Als ein Donnerschlag in weiter Ferne beschreibt Donnarumma den Sound und gibt einen Tipp, es selbst zu überprüfen: Dazu stecke man den Daumen ins Ohr und balle anschließend die Faust. Nicht nur die Handmuskeln sind zu hören, auch das ganze Orchester Körper grummelt mit; und ausschließlich diese biophysikalischen Signale sind Grundlage der Klänge bei Xth Sense. Tragbare Sensoren, die auf der Haut anliegen, nehmen die Muskelschwingungen ab und leiten die Audiosignale an den PC weiter. Muskelklänge ändern kaum ihre Tonhöhe, besitzen jedoch eine facettenreiche und schnelle Dynamik. Das ergibt Unterschiede, die der Rechner aufnehmen kann, und dementsprechend sorgt er für die Verstärkung, Verarbeitung und Wiedergabe der Schwingungen in Echtzeit. Er fungiert dabei wie eine Art Resonanzkörper für den Instrumentalisten. Dieser wiederum ist gleichzeitig das Instrument, und er muss lernen, sich selbst zu spielen, um die gewünschten Klänge zu erzeugen. Das langsame Heben des Armes ruft dumpfe, langgezogene Töne hervor, als ob große Gongs nacheinander geschlagen werden, wohingegen flinke Fingerbewegungen in Richtung Hagelschlag auf einem Xylofon gehen. Metallische Töne mit organischer Dynamik entstehen, wenn Donnarumma vorwiegend mit den Armen musiziert. Doch die "sound gestures", wie er die Bewegungsabläufe nennt, beziehen den ganzen Körper mit ein. Von den Zehen bis zum Kopf schwingt alles mit, und somit muss eine Komposition für ein Konzert als Choreografie eingeübt werden. Dafür wird das Instrument Körper kontinuierlich für Übungsstunden hervorgeholt, wobei hier Phänomene auftreten, die an wetterempfindliche alte Geigen erinnern: Müdigkeit schlägt sich auf den Sound nieder, da der Sauerstoffmangel in den Muskeln für Schlaffheit sorgt und die Muskeln dadurch leiser und weniger dynamisch klingen lässt. Die Anwesenheit von Adrenalin bewirkt das genaue Gegenteil.

Die damit verbundene Direktheit fasziniert das Publikum, vor dem Donnarumma mithilfe des Xth Sense seinen Körper hörbar zum Klingen bringt, sei es ein wissenschaftliches oder kunstsinniges Auditorium. Physische Präsenz und nonverbale Kommunikation treten in den Vordergrund. Das bewusste Hinhören auf innere Signale ist dabei nicht bloße Metapher. Der Gegensatz zur ansonsten auf ein Minimum reduzierten Interaktion mit Computersystemen tut sich auf. Touchscreens werden bloß leicht berührt, und Fenster öffnen sich, ohne dass sich haptisch etwas ändert. Auch in den Ausdrucksformen digitaler Kreativität spiegelt sich dies wider, und deren synthetisierte Arbeiten lassen das Lebhafte oft vermissen. Die Technologie bringt Vorteile, klar, doch - so Donnarumma - sollten wir nicht auf die körperlichen Erfahrungen und das metaphorische Potenzial des menschlichen Körpers vergessen. Deshalb forscht er auf diesem Wege weiter, um vielleicht Antworten zu erhalten, wie wir in unserer Interaktion mit Maschinen Menschen bleiben. (Richard Schwarz, Rondo, DER STANDARD, 21.9.2012)