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Neonazis, wie hier bei einem Aufmarsch in Bad Nenndorf (Niedersachsen), will der deutsche Staat künftig besser im Blick haben. Dafür wurde eine neue Sicherheitsdatei geschaffen.

Foto: APA/EPA/Hollemann

Ein V-Mann bringt Berlins Innensenator Frank Henkel unter Druck.

 

Es waren bewegende Worte, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Februar im Berliner Konzerthaus sprach. Da wurde der Staatsakt für jene zehn Menschen abgehalten, die zuvor von der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ermordet worden waren - neun von ihnen hatten einen Migrationshintergrund.

Als "Schande für Deutschland" bezeichnete Merkel die Mordserie damals. Und sie versprach, dass Deutschland alles für die Aufklärung tun werde. Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass der harte Kern der Truppe so lange unentdeckt morden konnte, weil die deutschen Sicherheitsbehörden Informationen verschlampten und sich nicht ausreichend austauschten.

Derzeit befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags mit der Materie, und dieser muss erkennen: Es sind längst noch nicht alle Pannen bekannt, es kommen immer noch neue ans Licht.

Unter Druck ist zurzeit Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU). Von 2000 bis 2011 hatte das Berliner Landeskriminalamt Thomas S. als V-Mann in der rechtsextremen Szene geführt. Er gab den Behörden bis 2005 konkrete Hinweise, wo sich der Kern der NSU-Zelle - die derzeit inhaftierte Beate Z. und ihre beiden mittlerweile verstorbenen Kumpane Uwe B. und Uwe M. - versteckt hätten.

Das LKA jedoch informierte darüber erst im März 2012 die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen zu diesem Zeitpunkt längst an sich gezogen hatte. Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag wurde - auch auf Nachfragen - gar nicht informiert. "Das kann man nur als Lüge bezeichnen", ärgert sich Grünen-Mitglied Hans-Christian Ströbele.

Henkel rechtfertigte sich zunächst damit, dass die Bundesanwaltschaft um Geheimhaltung gebeten hatte. Doch die oberste Anklagebehörde weist dies zurück.

Protokolle verschwanden

Vor allem die Opposition ist auch über Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) verärgert. Ihm untersteht der Militärische Abwehrdienst (MAD), und dieser hatte einen der mutmaßlichen Mörder, Uwe M., 1995 vernommen, weil der junge Mann während seines Wehrdienstes rechte Musik hörte und Bilder von Adolf Hitler und dessen Stellvertreter Rudolf Heß besaß.

Das Protokoll jedoch verschwand im Behördendickicht. Erst im März 2011 tauchte es wieder auf, auch de Maizière wurde in Kenntnis gesetzt. Auch er informierte den NSU-Untersuchungsausschuss, der eigentlich Licht ins Dunkel bringen sollte, nicht. "Das war unsensibel", räumte der Minister wenig später ein. Zunehmend genervt ist auch Bundeskanzlerin Merkel. Sie erklärte diese Woche: "Die Aufklärung läuft an etlichen Stellen nicht so, wie wir das für richtig halten."

Gemeinsame Datei

Um weitere Pannen zu verhindern, hat der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch die neue Neonazi-Datei per Knopfdruck in Betrieb genommen. Darin sollen 36 deutsche Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern ab sofort gemeinsam ihre Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner sammeln - und nicht mehr jeder für sich mit seinen eigenen Erkenntnissen dahinwerkeln.

"Ein Mausklick genügt jetzt, um eine bestimmte Person ausfindig zu machen", lobte der Minister das neue Verzeichnis. Doch er betont auch: "Diese Datei ersetzt nicht die Kommunikation zwischen den Behörden." (Birgit Baumann aus Berlin /DER STANDARD, 20.9.2012)