Das von Angelo Ritter von Picchioni erbaute Schloss erinnert an Miramare bei Triest.

Foto: Pavel Zeman/Pamet Rudolecka

Seit 2009 betreibt eine Brünner Investorengruppe die Revitalisierung. Über die Verwendung des Hauptgebäudes ist noch nicht entschieden.

Foto: Niklas Perzi

Ceský Rudolec - 1975 wäre es beinahe der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Wie überall in Europa wurde auch in der Tschechoslowakei in den 1970er-Jahren abgerissen, planiert und asphaltiert. Die Modernisierungswelle hatte die tiefste südböhmische Provinz erreicht, und im Sozialismus waren die Überreste des Feudalismus nur erhaltenswert, wenn sie dem "arbeitenden Volk" dienten. Das Schloss in Ceský Rudolec (Böhmisch Rudoletz) sollte einem Pensionistenheim im Plattenbau-Stil Platz machen.

Der Plan scheiterte am fehlenden Geld, und das Gebäude dämmerte weiterhin im Dornröschenschlaf vor sich hin. Dem Besucher des von Wäldern und Teichen umgebenen einsamen Ortes im böhmisch-mährisch-österreichischen Dreiländereck bot es ein Bild morbid-nostalgischer Romantik, das wahrscheinlich auch seinem Erbauer gefallen hätte. Handelt es sich bei dem vierflügeligen und viergeschoßigen Bau doch um eines der bedeutendsten Werke des böhmischen Historismus. Errichtet im Stil der englischen tudorischen Gotik, erinnert es an Miramare bei Triest ebenso wie an das Schwarzenberg'sche Frauenberg (Hluboká) bei Budweis.

Ungewöhnlich verlief auch das Leben seines Erbauers. Der aus dem italienischen Piemont stammende Angelo Ritter von Picchioni, dessen Vater noch dem aufrührerisch-antihabsburgischen Geheimbund der Carbonari angehörte hatte, machte eine schillernde Karriere im kaiserlich-österreichischen Militär, studierte Architektur und plante Militäranlagen auf dem Gebiet der Monarchie. Nachdem er aus den kaiserlichen Diensten ausgeschieden war, kaufte er das ursprünglich barocke Schloss in Rudoletz und nutzte nach einem Brand 1860 die Gunst der Stunde, um es nach seinen Vorstellungen neu zu errichten. Das nötige Kapital bot ihm das herrschaftliche Gut, auf dem er die Einführung moderner Ackerbaumethoden forciert hatte.

Als Picchioni starb, umfasste der Besitz neben dem Schloss noch Mühlen, eine Bierbrauerei und Spiritusbrennerei im Ort sowie fünf Meierhöfe und Forste in der Umgebung. Picchioni selbst erwarb sich als Gönner armer Kleinhäusler-Kinder die Sympathie der Ortsbevölkerung, die zu einem Gutteil von der „Herrschaft" abhängig war.

Nach dem Ersten Weltkrieg filetierte die Tschechoslowakei jedoch den Besitz im Zuge der Bodenreform. Die Wälder fielen dem neuen Staat zu, während die Landwirtschaft in den Händen der adeligen Familie blieb. Mit dem Staatsforst kamen auch tschechische Familien in den vorher deutschsprachigen Ort. Die monumentale "Masaryk-Schule" verkörperte den neuen Herrschaftsanspruch gegenüber der bisherigen feudalen Dominante des Ortes.

Und während in den Nachbarortschaften 1945 nach der NS-Okkupation die Deutschen über die Grenze nach Österreich vertrieben wurden, mussten sie in Rudoletz bleiben und ein Lager neben dem Schlosspark versorgen, wo 80.000 Wehrmachtsangehörige mehrere Monate lang interniert waren. Die ersten Schlossgebäude wurden demoliert. Der letzte Nachkomme des Erbauers hatte sich auf seine Latifundien nach Südamerika abgesetzt.

Das Schloss wurde nach Liquidierung des Lagers Bestandteil der neuen staatlichen Landwirtschaft, in die nach der kommunistischen Machtübernahme auch die Bauern des Ortes hineingezwungen wurden. Im englischen Schlosspark fand nun eine Latrine Platz, die Stallungen mutierten zur Maschinenhalle, aus der Brauerei und dem Gasthaus wurden die Ausspeisungssäle für die Landarbeiter, die jetzt am Aufbau des Sozialismus in einem Dorf werkten. Rote Spruchbänder verkündeten unter den neugotischen Zinnen die "Einheit von Partei und Volk", die jedoch ebenso bröckelte wie das Schlossgebäude, das nach der Übersiedelung von hier einquartierten Arbeitern in moderne Wohnblöcke leer stand.

Nach 1989 wechselten die Eigentümer rasch. Gerüchte über geheimnisvolle russische und amerikanische Investoren machten die Runde. Das eine Mal sollte ein Luxushotel errichtet werden, ein andermal drohte der Abriss. Die Ungewissheit beendete erst die Brünner Investorengruppe Penta, die das Schloss 2009 erwarb und gemeinsam mit einer örtlichen Initiative an der Rekonstruktion arbeitet.

Mithilfe eines EU-Projektes gelang bereits der Umbau der Schlosskanzlei zu einem Infozentrum sowie die Rekonstruktion des Gasthauses im Nebentrakt. Und in Tschechien nicht nur als Anknüpfung an alte Traditionen besonders wichtig: Auch Bier wird wieder gebraut werden - mit Bierbadewanne in der alten Orangerie. (Niklas Perzi, DER STANDARD, 18.9.2012)