Politisches Kalkül und religiöse Umnachtung halten sich die Waage, wenn in Khartum vor EU-Botschaften und in Tripoli vor einem Kentucky Fried Chicken nicht nur gegen den derzeit berühmtesten Film der Welt, sondern auch gleich gegen den Papst demonstriert wird. Diesmal geht es nicht wie bei den Mohammed-Karikaturen um die Freiheit von Presse und Kunst, sondern, auf beiden Seiten, um die Freiheit der Dummheit - wobei es aber natürlich ein qualitativer Unterschied ist, ob man ein noch so unsägliches Filmchen dreht oder Menschen tötet.

Zu Schaden kommen auch die Muslimbrüder in Ägypten. Nicht zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt ist der Populist Mohammed Morsi zerrissen zwischen seiner Klientel und der politischen Realität. Er hat lange, zu lange gebraucht, bis er seinen Landsleuten mitteilte, dass religiöse Aufwallung und physische Angriffe auf diplomatische Vertretungen nicht zusammengehören. Da hatte US-Präsident Barack Obama Ägypten - das auf einen US-Schuldenerlass von einer Milliarde Dollar wartet - in einem Interview bereits die Bezeichnung "Alliierter" entzogen.

Man sollte aber nicht alles auf den Hintergrund Morsis schieben. Hosni Mubarak verhielt sich beim Karikaturenstreit 2006 nicht viel anders: allerdings nicht nur, um seine islamischen Referenzen zu verbessern, sondern auch, um dem Westen zu zeigen, wie gefährlich die Muslimbrüder sind - die jetzt die US-Botschaft schützen müssen. (DER STANDARD, 15.9.2012)