Bild nicht mehr verfügbar.

"Sieger" sehen vielleicht doch anders aus: Katharina Straßer und Harald Windisch.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Der überzeugende Abend leidet höchstens an konzeptuellen Einschränkungen - und einer gewissen Unmusikalität.

Wien - Ödön von Horváths Volksstück Kasimir und Karoline erzählt von der Not kleiner Leute: Die Finanzkrise macht sie kleiner, als sie ohnedies sind. Die Amüsierlust treibt den Chauffeur Kasimir und seine Braut Karoline auf die Münchner Oktoberfest-Wiesn. Aber die große Krise lässt sie keinen Geschmack aneinander finden. Die Nerven liegen blank im Wiener Josefstadt-Theater, die Empfindungen sind blockiert.

Horváths Stück, ursprünglich 1932 uraufgeführt, vermittelt: zwischen dem Zauber des Augenblicks und der schlechten Ewigkeit prekärer Verhältnisse. Georg Schmiedleitners Inszenierung ist an der Bannung dieser Ewigkeit merklich gelegen. Statt eines Rummelplatzes starrt die Wiesn-Gesellschaft in einen kubischen Narrenkasten. An Stahlseilen hängt der Spielwürfel herunter, an dessen Wänden Hunderte von Glühlämpchen flackern (Bühne: Harald Thor). Haut Kasimir (Harald Windisch) den Lukas, so liegt er unterm Kasten und prügelt wütend gegen das Möbelstück.

Kasimir, der Chauffeur mit den vielen Bescheinigungen eines Kraftfahrzeuglenkers, wurde soeben "abgebaut". Karoline (Katharina Straßer) ist ein Herz von einem Mädchen. Sie möchte halt trotz Kasimirs Misere in Ruhe ein Eis schlecken. Er knallt seine Lederjacke gegen den Wiesn-Boden. Sie kramt seelenruhig im Schatzkästlein ihrer Illustriertenweisheiten. Wenn es dem Manne schlechtgeht, sagt sie, hänge " das wertvolle Weib" noch "intensiver" an ihm. Über solche Einsichten lachen weißblaue Hühner.

Straßer und Windisch jedoch bilden ein wunderbares Paar entgeisterter Menschen, die den Kampf mit der Krise wie Freischärler führen. Die Wertedebatten haben sie im Wesentlichen hinter sich gebracht. Auf der Tagesordnung steht jetzt das tägliche Überlebenstraining der Hartz-IV-Empfänger. Es ist bestimmt kein Versehen, dass Schmiedleitners Inszenierung zur Mitte durchhängt. Die schlechte Ewigkeit ist nicht erst seit Dante Alighieri ein Labor der Qualen. An der Depression nimmt mitunter auch Horváths Sprechmusik Schaden.

Gefangen in der Schleife der Krise, haben die Menschen ungewollt Muße, nach Altötting aufzubrechen (Karoline) oder auf einem Turm aus Autoreifen zu balancieren (Kasimir). Der dicke Merkl Franz (Thomas Mraz) ringt seine Erna (Gerti Drassl) zu Boden. Erna ist aber die Einzige, die verstanden hat, was es geschlagen hat: Sie erklärt Kasimir die Sternbilder am Himmel. Die Sterne sind, so wie die Finanzkrisen, für die Ewigkeit bestimmt. Der Zeppelin hingegen, diese Sehnsuchtserscheinung, wird "nur einige Schleifen beschreiben".

Die Kosten für diese Meditation über das Unaufhörliche liegen auf der Hand: Figuren wie den Sexabenteurern Rauch und Speer (Heribert Sasse, Herbert Föttinger) wird kaum mehr als Luftschnappen zugestanden. Macht nichts. Straßer und Windisch - und Peter Scholz' windiger Schürzinger - ernteten zu Recht einigen Beifall. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 15./16.9.2012)