Intendant Florian Scholz: "Theater hat es immer gut, wenn es in eine bewegte Gesellschaft hineinkommt. Dass die Kärntner Gesellschaft bewegt ist, ist kein Geheimnis."

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Klagenfurt - Kärnten wird anders. Zumindest am Stadttheater Klagenfurt. Das wird nicht nur am neuen Logo sichtbar, sondern an einem durchaus mutig akzentuierten Spielplan, der - auch das ist neu - immer ein Motto haben wird.

In dieser Saion herrschen am Theater "Naturgewalten": Auf Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" folgen Elfriede Jelineks "Winterreise" und Shakespeares "Sturm", auf Leos Janáceks "Das schlaue Füchslein" (übrigens eine Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper, Scholz' früherem Arbeitgeber) Gert Jonkes 2005 am Burgtheater uraufgeführtes Stück "Die versunkene Kathedrale".

Anders als seine Vorgänger wird Neo-Intendant Florian Scholz auch nicht selber inszenieren. Stattdessen holt der 42-jährige Theatermanager einige der interessantesten Jungregisseure nach Klagenfurt: die von der "Süddeutschen Zeitung" als "explodierendes Fräuleinwunder des deutschen Theaterbetriebs" gelobte Anna Bergmann (34) etwa; Marco Storman (32), David Bösch (34) und die Osttirolerin Cornelia Rainer (30), die heuer bei den Salzburger Festspielen debütierte.

Außerdem hat Scholz drei Sänger - Bass, Bariton, Tenor - und ein siebenköpfiges Schauspieleensemble fix engagiert. "Ich versuche", sagt er, "unsere Wurzeln zu finden, aber die Äste auszustrecken nach anderswohin."

Standard: Sind Sie in Klagenfurt am Ziel Ihrer Träume angelangt?

Scholz: Eigentlich ja. Das Stadttheater ist ein Ausnahmehaus in dem Sinn, dass es Sprech- und Musiktheater eng miteinander verzahnt. Das macht für mich die besondere Qualität aus.

Standard: Berührungsängste mit der Kärntner Lokalpolitik hatten Sie nie?

Scholz: Wenn ich aus meinem Büro gucke, schaue ich tatsächlich aufs Kärntner Landesgericht. Und die Insassen des Landesgerichts schauen auf uns (lacht). Aber ich komme neu - und sehr froh - nach Österreich, das Positive überwiegt eindeutig. Natürlich läuft in Kärnten vieles aufklärungswürdig ab. Aber es ist nicht der einzige Ort der Welt, an dem Politikskandale passieren. Es gibt ein tägliches Leben in Kärnten - mit seinen Schwierigkeiten, aber auch mit seinen Qualitäten. Kärnten hat immer große Künstler hervorgebracht, nehmen Sie nur Johann Kresnik oder Martin Kusej, Josef Winkler oder Maja Haderlap,Peter Turrini oder Peter Handke. Es ist ein Land, das viel Widerspruch zulässt, ein Land, in dem sich Leute äußern, auch sehr laut.

Standard: Wie sind Ihre Erfahrungen mit Ihren politischen Ansprechpartnern?

Scholz: Bisher positiv, es gibt ein klares Bekenntnis zu Theater und Kunst. Theater hat es ja immer gut, wenn es in eine bewegte Gesellschaft hineinkommt. Dass die Kärntner Gesellschaft derzeit bewegt ist, ist kein Geheimnis: Es ist eine Gesellschaft auf der Suche, in Zwiesprache mit sich selbst. Aber das Theater steht immer außerhalb des Geschehens, es ist ein Ort der Kunst.

Standard: Ihr Vorvorgänger Dietmar Pflegerl verstand Theater als politischen Ort und brachte sich intensiv ins (tages)politische Geschehen ein.

Scholz: Ich möchte kein politisches Sprachrohr sein, sondern Förderer und Ermöglicher von Kunst. Parteipolitik würde unsere künstlerische Arbeit beschädigen. Auch Picasso hat "Guernica" gemalt, aber nicht druntergeschrieben, welche Partei er wählt. Die Kunst muss für sich sprechen, ihre Aussage mit künstlerischen Mitteln treffen.

Standard: Wie, glauben Sie, werden die Kärntner auf Ihre erste Schauspielpremiere (23. 9.) reagieren? Elfriede Jelineks "Winterreise" ist ein höchst brisantes Stück über österreichische Politikverfasstheit und Kärntner Skandale wie jenen um die Hypo Alpe Adria.

Scholz: Als ich es las, wusste ich sofort, dass dieses wesentliche Stück hier in Klagenfurt gezeigt werden muss. Es beschreibt einen Aspekt unserer Gegenwart sehr deutlich. Wenn jetzt bei den Proben die Inhalte im Raum stehen, zum Leben erweckt werden, dann schlackern einem allerdings schon manchmal die Ohren.

Standard: Vorher beruhigen Sie das Publikum aber mit dem romantischen "Freischütz"?

Scholz: Auch ein klassisches Werk wie "Der Freischütz" verhandelt brisante politische Themen. Man verbindet das Stück oft mit einer fröhlichen, im Wald lebenden Gemeinschaft. Aber es beschreibt etwas ganz anderes, nämlich eine Gesellschaft, die sich zwar als naturverbunden bezeichnet, ihre Individuen aber derart bedrängt, dass ein friedliches, freies Leben nicht möglich ist. Jedenfalls herrschte schon bei der Generalprobe einige Aufregung!

Standard: Zuletzt bekam das Theater etwa 16 Millionen Euro an Subventionen. Gab's als Einstandsgeschenk vom neuen Hochkulturlandesrat Wolfgang Waldner eine Budgeterhöhung?

Scholz: Man hat das Budget belassen. Und es ist gut, so wie es ist, ich habe genug Geld, um auf dem Niveau zu operieren, das mir richtig erscheint.

Standard: Immer wieder haben Künstler aus politischen Gründen Kärnten boykottiert. Passiert Ihnen das auch?

Scholz: Bei der ganzen Kärnten-Polemik darf man nicht vergessen: Es ist auch ein magischer Ort. Ausnahmslos alle Künstler, die jetzt am Haus proben, fragen regelmäßig, wann sie wiederkommen können. Das hängt mit dem Publikum zusammen, mit der Aufmerksamkeit und Leidenschaft, die einem entgegengebracht wird, dem herzlichen, gut aufgestellten Haus, den wunderbaren Mitarbeitern.

Standard: Werden Sie Auftragsarbeiten an junge Theaterdichter und Komponisten vergeben?

Scholz: Unbedingt! Ich bin mit einigen Autoren im Gespräch. Mit Bernhard Lang, einem der wichtigsten österreichischen Komponisten der Gegenwart, planen wir eine Oper, die unmittelbar mit Kärnten zu tun hat. Doch das Stadttheater kann nicht nur Zeitgenössisches bringen, sondern muss als kultureller Leitbetrieb innerhalb von zehn Produktionen das gesamte Opern- und im Sprechtheater das gesamte Repertoire der Weltliteratur abdecken.

Standard: Woher kommt Ihre Begeisterung für die Oper?

Scholz: Ich habe 2002 bei den Salzburger Festspielen Anna Netrebko als Donna Anna gehört, das traf mich tief ins Herz. Ich war wie unglücklich verliebt und konnte eine Woche nicht schlafen und habe Gerard Mortier so lange mit Briefen bombardiert, bis er mein Flehen erhörte und mich an die Pariser Oper holte.

Standard: Und was war davor?

Scholz: Ich wollte immer schon ans Theater. In der Abiturzeitung stand bei mir als Berufswunsch: "Theaterdirektor oder Souffleur". In meiner Ratlosigkeit habe ich zunächst den Weg des Schauspielers gewählt, in Paris Straßentheater gemacht, an der Ernst-Busch-Schule studiert und dann fünf Jahre gespielt. Mit Ende zwanzig merkte ich, dass es nicht der richtige Beruf für mich ist. Damals holte mich Thomas Ostermeier, den ich noch vom Studium her kannte, als Regieassistent an die Berliner Schaubühne. Später, als Assistent von Stephan Märki in Weimar, begegnete ich übrigens Anna Bergmann und Marco Storman, die jetzt in Klagenfurt inszenieren. So schließen sich die Kreise.
(Andrea Schurian, DER STANDARD, 13.9.2012)