Homosexualität im Fußball? Nagellack in der Kabine? Im Profisport ein Thema, über das gschwiegen wird. Der niederländische Fotograf Erwin Olaf porträtiert in seinen Werken Zwangsvorstellungen der Gesellschaft. Sein "Rouge Player 2" (2005) spielt mit Glanz und Androgynität.

Foto: Erwin Olaf, Courtesy Wagner + Partner, Berlin

Wege zum Erwachsenwerden zwischen Rap und Rave, Virtualität und Realität, Sexualität und Identitätsfindung.

Wien - Level eins erscheint surreal: Der Superheld bewegt sich durch eine vom Smog verschleierte Großstadtskyline, nebelverhangene Wiesen, ein ausgetrocknetes Flussbett und Betonruinen. Ausgestattet mit einem goldenen, zackenbesetzten Helm und einem einschüchternden Kampfanzug zieht er durch diese verlassene, triste Landschaft und nimmt es mit allen Bösewichten und Monstern auf. Zumindest scheint es so.

Die Landschaft ist nicht Teil eines Computerspiels, sondern zeigt eine chinesische Großstadt. Auch der vermeintliche Held ist ein Cosplayer, gefilmt von der Pekinger Multimediakünstlerin Cao Fei. In ihrer Arbeit Cosplayers (2004) dreht sich alles um Jugendliche, die sich originalgetreue Kostüme aus Manga- und Anime-Filmen oder Computerspielen anfertigen. Blaue Haare, spitze Katzenohren und übergroße Fantasiewaffen dürfen da nicht fehlen.

Jugendliche wie diese stehen im Fokus der Ausstellung Megacool 4.0 - Jugend und Kunst im Wiener Künstlerhaus. Rund fünfzig zeitgenössische - nationale sowie internationale - Künstler beschäftigten sich mit den vielfältigen Phänomenen der Jugendkultur. Sie präsentiert einerseits Popidole wie Iggy Pop und Snoop Dogg als Silbergelatine-Print, andererseits Fotoserien wie The Great Escape. Sauli Sirviö zeigt darin schmusende und aus Eimern saufende Jugendliche. Doch nicht überall in der Schau werden gängige Klischees bedient.

In den 1980er-Jahren machten es jugendliche Männer der Gothic-Szene vor: Mit schwarzen Röcken und Strapsen begannen sie die Geschlechterrollen aufzuweichen. In den Nullerjahren setzten die Emos (Emotional Hardcore) mit ihrem androgyn orientierten Männlichkeitsbild diesen Trend fort. Solche Strömungen flossen in die Gender-Crossdressing-Serie Switcheroo (2011) der kanadischen Fotografin Hana Pesut ein. Sie lichtete Pärchen vor und nach dem Klamottentausch ab. Auf unterhaltsame Weise greift Pesut so das Thema Gender-Identitäten auf und hinterfragt festgefahrene Stereotype.

Auch die großen Prints des niederländischen Fotografen Erwin Olaf spielen mit Sexualität und Geschlechterinszenierungen. Rouge Player nennt er seine vor roten Hintergrund abgelichteten, feminin geschminkten Models.

Schöpfer vs. Avatar

Ein Großteil der ausgestellten Arbeiten begegnet dem breitgefächerten Thema in den Medien Fotografie, Video oder in Form interaktiver Computerspiele. Zu den skulpturalen Werken zählen die Arbeiten des russischen Künstlerkollektivs AES+F, die in Last Riot 2 (2007) die Ästhetik kitschiger Porzellanfigürchen imitieren. Malerisch wird es bei Nina und Torsten Römer, die mit dem großformatigen Bild Terrorist Nr. 1 (2006) die politische Protestkultur der Jugend abbilden.

Die eingangs erwähnten Cosplayer sind nur ein Beispiel für die sich auflösenden Grenzen zwischen virtueller und realer Welt. In seiner Fotoserie Alter Ego (2003) stellt der britische Fotograf Robbie Cooper reale Personen ihren virtuellen Avataren gegenüber, etwa den fiktiven Charakteren der Onlinewelt Second Life. Drei Jahre lang fotografierte Cooper Onlinespieler auf der ganzen Welt. Seine eindringlichen Fotos beweisen: So heterogen die Avatare sind, so verschieden sind auch ihre Schöpfer: Ein fettleibiger Junge, ein Pärchen, ein Teenager mit Handikap - sie alle flüchten in eine alternative Welt, in der sie Helden verkörpern.

In einer zweiten Arbeit Robbie Coopers wirken Fotografie, Film und Videospiel auf das Spannendste zusammen. Das Video Immersion (2008) zeigt Kinder, wie sie in gewaltverherrlichenden Konsolenspielen wie Grand Theft Auto 4 oder Tekken vertieft sind. Die Mimik der Kinder wirkt dank der von Cooper im Bildschirm integrierten Kamera unmittelbar auf den Betrachter, übermittelt Emotionen wie Zorn und Freude. Die apathischen Blicke der Kinder bleiben dem Betrachter noch lange im Gedächtnis.

Eine ganz andere, tabuisierte Realität von Jugendlichen thematisiert Rebecca Sampson in ihren Fotografien. Man sieht ein auf dem Boden sitzendes und nach vorn gebeugtes Mädchen, dessen Rückgrat sich überdeutlich unter der Haut abzeichnet. Sie leidet an Magersucht. Darunter sieht man ein Foto einer übergewichtigen, auf dem Boden liegenden Frau. Diese beiden Extreme stellt die deutsche Fotografin in ihrer Serie Aussehnsucht dar. Für ihre fotografischen Porträts besuchte sie die Patienten einer Klinik für Essstörungen. Rebecca Sampson weiß, wovon sie erzählt. Als Jugendliche wurde sie selbst in dieser Klinik behandelt. So entstanden bewegende Fotografien von den negativen Auswirkungen der Schönheitsideale.

Rave-Relikte für die Ewigkeit

Neben der virtuellen Welt von Computerspielen, Sexualität und Körperlichkeit ist Popkultur der dritte große Pfeiler auf dem die Ausstellung ruht. Techno-Utensilien wie ein Love-Parade-Schal von 1994, bunte Schweißbänder oder leere Energydrinkdosen sind für nachfolgende Generationen sicher in einem gläsernen Schaukasten verwahrt. Es sind Überbleibsel der 1990er-Jahre, in denen Millionen Jugendliche nach Berlin oder Dortmund pilgerten, um ihren gottgleichen DJs zu huldigen. Raves wie die Love Parade oder der Mayday einten eine Jugendkultur, deren Maxime Feiern und Durchmachen lautete. Die Leihgaben des Jugendarchivs Frankfurt wirken in den Kästen zwar irgendwie albern, doch ihre museale Präsentation ist sinnvoll.

Auch wenn der Titel der Schau Megacool 4.0. etwa befremdlich wirkt und fern realen Jugendsprechs ist, so gibt die Ausstellung doch einen ersten Einblick in den großen Supermarkt jugendlicher Soziotope. (Michael Ortner, Spezial, DER STANDARD, 6.9.2012)