Wien - Die letzte Ruhestätte des Ständestaat-Kanzlers Engelbert Dollfuß am Hietzinger Friedhof, die von der Stadt Wien derzeit wie ein Ehrengrab behandelt wird, könnte in ein "Historisches Grab" umgewandelt werden. Dabei handelt es sich um eine neue Kategorie, die es bisher noch nicht gab und heute, Dienstag, im städtischen Kulturausschuss beschlossen wird, teilte Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) in einer Aussendung mit.

Bei den "Historischen Gräbern" handelt es sich um eine Ergänzung zur bereits bestehenden Kategorie Ehrengräber. Die neue Sparte betreffe bestehende Grabstellen, bei denen es der Stadt - wie bei den Ehrengräbern - ein Anliegen sei, diese zu erhalten, hieß es in der Aussendung. Jedoch solle bei umstrittenen Persönlichkeiten künftig nicht mehr der Ehrungscharakter im Vordergrund stehen, sondern lediglich die historische, kunst- oder kulturhistorische Bedeutung bestehenbleiben.

Rund 100 Gräber werden überprüft

"Ein Teil dieser Geschichte spiegelt sich in den zahlreichen wichtigen Persönlichkeiten wider, die in Ehrengräbern der Stadt Wien bestattet sind. Diese Ehrengräber wurden an Persönlichkeiten vergeben, ungeachtet ihrer Rolle, die sie historisch betrachtet innehatten. Dieses Gedenken soll nun, im Sinne einer umfassenden Gedächtniskultur durch historische Gräber ergänzt werden", erklärte Mailath-Pokorny. Über die neue Gräberkategorie muss Anfang Oktober noch im Gemeinderat abgestimmt werden.

Anschließend werden Fachleute der Kulturabteilung rund 100 umstrittene Ruhestätten unter die Lupe nehmen, darunter auch jene des Architekten Adolf Loos, der wegen eines Sittlichkeitsdeliktes angeklagt war, und des k.u.k. Generalstabschef Feldmarschalls Franz Conrad von Hötzendorf. Zuvor schon hatte eine von der Stadt eingesetzte Kommission, unter der Leitung des früheren Stadtschulratspräsidenten Kurt Scholz, die Vergabe der Wiener Ehrengräber zwischen 1934 bis 1938 überprüft.

Dollfuß-Grab kein Ehrengrab

Ebenfalls auseinandersetzen werden sich die Experten mit dem Grab von Dollfuß. Die Grünen hatte sich heute in einer Aussendung bereits gefreut, dass die "Widmung ehrenhalber" der Ruhestätte in der heutigen Ausschusssitzung aufgehoben wird. Das stimmt nicht, dementierte der Stadtratssprecher. Die Ruhestätte besitze keinen Ehrenstatus. Das Dollfuß-Grab werde von der Stadt zwar wie ein Ehrengrab behandelt und gepflegt, sei aber - entgegen der weitläufigen Meinung - nicht als solches gewidmet. Die Kommission habe keine entsprechende Widmung in den Akten gefunden.

Vielmehr habe sich die Witwe des 1934 von NS-Putschisten ermordeten austrofaschistischen Kanzlers nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Bitte an die Stadt gewendet, ob denn diese nicht das Grab pflege könne, berichtete der Sprecher. Dem sei die Gemeinde nachgekommen, da sie die Erhaltung für wichtig befunden habe. Nun ist möglich, dass das Dollfuß-Grab in ein "Historisches Grab" umgewandelt wird. Auch bei solchen ist eine Pflege durch die Stadt möglich - wobei es im Fall des Dollfuß-Grabe offen ist, ob die Kosten dafür weiter von der Stadt getragen werden, hieß es. (APA, 4.9.2012)