"Hast du vielleicht an einer Geschichte Interesse, die sich um eine Gruppe wilder Wiener dreht, die sich partout in den Kopf gesetzt haben, trotz blanken Unwissens einen eigenen Fahrradrahmen zu bauen?" Diese Frage flatterte im Jänner per E-Mail ins Fahrradressort. Acht Monate hat es gedauert, bis eine Geschichte daraus wurde, als so komplex erwies sich das Projekt der "Selberbruzzler".

Acht Herren bauen in Wien-Hernals ihre eigenen Fahrradrahmen. "Wir haben immer am Mittwoch unsere Bastelrunden. Komm in der Jörgerstraße 17 im 17. Bezirk vorbei. Du musst bei der 'kleinen Fahrradwerkstatt' läuten. Das ist der Extra-Bimmelknopf über der Gegensprechanlage. Du kannst auch zart gegen die Scheiben der Kellerfenster klopfen."

Ein paar Stufen hinab, und schon eröffnen sich zwei Souterrain-Räume mit Werkzeugen in Hülle und Fülle und genug Bier für die Selberbruzzler und ihren Gast. Die Selberbruzzler sind (von links): Philipp, Michael, Ernst, Manfred, Ben, Thomas und Andreas. Manfred, der Software-Entwickler, war an diesem Mittwoch verhindert.

Foto: Selberbruzzler

Begonnen hat das Projekt Selberbruzzler im September 2010 bei einem Treffen italophiler Radenthusiasten im Schweizerhaus im Vorfeld der "Eroica", des größten und bekanntesten Rennens für historische Fahrräder, das Anfang Oktober in der Toskana stattfindet. "Das Rennen ist jedes Jahr fixer Bestandteil unsers Radkalenders", sagt Ernst (links im Bild als Philipps Löt-Assistent).

"Ernst eröffnete bei Stelze und Bier, er wolle nicht mehr nur irgendwelche Räder zusammenschrauben, sondern einmal einen Rahmen selber bauen", erzählt Philipp. "Ungläubige Gesichter waren das Ergebnis, doch wer Ernst kennt, weiß, dass den Worten ernsthafte Taten folgen."

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"Wir arbeiten hier werkzeugmäßig total archaisch. Mit Lötgerät und Feilen. Es gibt keine Drehbank und keine Fräsmaschine, alles wird mit der Hand gefertigt, aber das wollen wir auch", sagt Andreas, der auch als Kassier fungiert. In der gemeinsamen Kasse landen die Beträge für gemeinsame Anschaffungen. Darüber hinaus kommt jeder für seinen individuellen Entwurf selbst auf.

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"Alle denken, das sind doch eh nur acht Röhren, aber da steckt viel mehr dahinter", sagt Ernst, der schon viele Räder zusammengebaut hat, aber bis vor zwei Jahren noch keinen Rahmen. "Ehrgeiz und manuelle Fähigkeiten allein helfen nicht, wenn praktische Erfahrungen zum Thema fehlen. Noch schlimmer, wenn alle Beteiligten aus Berufen kommen, die mit der Metallverarbeitung rein gar nichts am Hut haben", berichten Ernst und Philipp von den Anfängen.

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Was also tun, wenn man ein Problem alleine nicht lösen kann? Man macht es öffentlich. Der Start des Projekts erfolgte am Morgen nach dem Schweizerhaus-Treffen in Form eines Hilferufs im österreichischen Bikeboard-Forum. Das "Sammeln von Erfahrungen" sollte für jeden nachlesbar sein.

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Neben zigtausenden interessierten Laien meldeten sich die deutschen Profi-Rahmenbauer Georg Blaschke, Ulrich Vogel, Kai Bendixen und Matthias Scherer. Sie coachten die acht Wiener Dilettanten von der ersten Stunde an. Im Herbst 2012 weist der Selberbruzzler-Thread im Bikeboard bereits mehr als 4.000 Beiträge und tonnenweise Bilder auf, das Projekt zieht sich durch mehrere europäische Fahrradforen.

So erfolgreich ist die "Chronologie des Scheiterns" (Eigendefinition), dass die Selberbruzzler Ende März auf die European Handmade Bicycle Exhibition (EHBE) eingeladen wurden, wo sie gleich den größten Stand bezogen.

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"Wir haben versucht, schon beim ersten Rahmen alle Fehler zu verwirklichen, die man machen kann, was wir aber nicht ganz geschafft haben", berichten Ernst und Philipp. Anfang November 2010 nahmen sie den ersten Rahmen in Angriff, im April 2011 war er fertig. Am Anfang war es nicht einfach, Händler zu finden, die Kleinteile in so geringen Stückzahlen verkaufen.

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Der Großteil der Rohre kommt von dem italienischen Produzenten Columbus, der Rest von einer Handvoll Hersteller wie Reynolds, Long Shen, Silva und Llewellyn. Italophil zu sein in Sachen Fahrrad ist übrigens keine Voraussetzung, um im Selberbruzzler-Team dabei zu sein. So ist Ben als großer Fan von Yoshiaki Nagasawa asiatisch unterwegs, Andreas vertritt die pragmatische Linie: "Hauptsache, die Technik stimmt."

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Am Anfang des Rahmenbaus steht immer der Plan. "Wir wissen eigentlich, welche Rahmengrößen wir brauchen, und geben die wichtigsten Maße im Open-Source-Zeichenprogramm rattleCAD ein", erklären Andreas (rechts) und Phillip. Aus den praktischen Erfahrungen der Selberbruzzler konnte das Software-Projekt großen Nutzen für die Weiterentwicklung ziehen: Bis September 2012 gab es mehr als 12.000 Downloads sämtlicher Rahmen-Software-Versionen der Selberbruzzler.

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Aus Ernsts und Michaels Ideen zur Rahmenlehre und Thomas' Angebot, seine Werkstatt - "die strenge Kammer" - zu nutzen, entsteht heute ein Rahmen nach dem anderen, ...

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... die meisten davon mit Fahrrad drumherum. "Beim Rahmen Nummer vier (im Bild, Anm.) habe ich viele Fehler von Rahmen Nummer eins wiederholt", erzählt Philipp. "Ich bin mir sicher, das Material für meinen Rahmen hat mehr gekostet als ein Billigrad." Für ihn stellte sich nach mehreren Abenden als Beobachter in der "strengen Kammer" die Frage: "Brauche ich so was? Ich habe eh schon so viele Räder." Doch schnell war klar, was im Fuhrpark noch fehlte: ein Bahnrad. Philipp wählte Columbus-Zona-Rohre - "Überhitzen ist nicht so das Thema, und das Gewicht ist egal" - sowie Edelstahlmuffen "wegen des Bling-Blings". Auf dem Foto ist das Bahnrad bis auf die Stahlgabel so gut wie fertig, aber noch nicht lackiert. Die Nirosta-Muffen bleiben natürlich so, wie sie sind.

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Perfekt gelötet und auf Hochglanz poliert: Alleine das Muffenschleifen dauert eine Woche lang. Am Anfang bestellten die Selberbruzzler vier Übungsmuffen und schnitten diese auf, um in Erfahrung zu bringen: Wie schaut das innen aus, wie ist das gelötet, wie verhalten sie sich?

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Wie es mit der Sicherheit ausschaut? "Wir sind keine Hasardeure und setzen uns schon auf was drauf, das etwas aushält", meint Ernst. "Die Probestücke, die wir hergestellt und dann aufgeschnitten haben, machen deutlich, dass wir den Prozess im Griff haben. Dann hält auch ein Rahmen. Ein bisschen Gottvertrauen schadet aber sicherlich nicht."

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Über die Gabel haben sich die acht Rahmenbauer nicht gleich getraut. Anfangs kamen sie vom italienischen Rahmenbauer Orlando Simoncini (Bild Mitte) aus dessen Werkstatt bei Gambassi Terme in der Toskana. Heute entsteht die Gabel im Selbstbau. Gelötet wird mit Silberlot, einer Silberlegierung mit einer Arbeitstemperatur von etwa 680 Grad Celsius. Das Kilogramm kostet 800 Euro. "Das Teuerste an unserer Arbeit ist das Silber, das auf den Boden tropft", meint Philipp.

Foto: Selberbruzzler

"Wir nehmen jetzt den Gabelschaft da raus, weil er zu kurz ist, und löten einen längeren rein", erklärt Michael, der Lötprofi. "Diese Gabel wurde von Simoncini für geschraubte Steuersätze gebaut. Für Philipps Bahnrad ist der Schaft zu kurz. Wir werden das Ding verlängern."

"Es hat nicht funktioniert", stellen die Selberbruzzler kurze Zeit später fest. Aber wie immer gilt: Der Weg ist das Ziel.

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Nummer fünf (im Bild) ist Ernsts Rad und nach Nummer eins sein zweiter selbst gebauter Rahmen. "Nummer fünf ist gerade geworden, das ist der große Unterschied zum Rahmen Nummer eins", so Ernst. Im März 2012 war der Rahmen fertig und durfte auch mit auf die EHBE. Wie die gediegene Farbkombination zustande gekommen ist? "Ich wollte ganz bewusst kein klassisches Fahrrad in Schwarz-Weiß-Blau haben, ...

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... die farbliche Alternative in Nougat-Merlot betont die per Hand auf Spiegelfinish polierten Edelstahlmuffen", sagt Ernst. Die Rahmen werden zurzeit noch von Profis lackiert, bis Thomas seine Lackierbox fertig hat. Mittlerweile sind auch ein eigenes Logo und ein Schriftzug von Ben umgesetzt.

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Zwei Jahre nach dem Start in die Rahmenbauerei sind so ziemlich alle Selberbruzzler stolze Väter. "Wir bringen auch unsere Kinder zum Fahrrad", meinen sie unisono. Nicht zuletzt deshalb werden ab jetzt Kinderräder gefertigt.

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Die erste Konstruktionszeichnung ist bereits umgesetzt. "Dazu mussten wir auch die Ausfallenden - die Dinger, in denen die Hinterradnabe im Rahmen eingespannt wird - extra konstruieren und plasmaschneiden lassen, weil es so etwas nicht zu kaufen gibt. Schließlich sollen das leichte Räder für unsere Racker werden", sagt Ernst.

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Sechs Rahmen sind das einstweilige Ergebnis einer zwei Jahre währenden Leidenschaft (im Bild Rahmen Nummer fünf). Bei all dem Erfolg im vorsätzlichen Scheitern ist Kommerzialisierung für die Selberbruzzler kein Thema. Zum einen haben alle ihre Berufe, zum anderen "ist Österreich kein Markt, der groß genug wäre, jemanden zu ernähren, der Rahmen per Hand baut", ist Ernst überzeugt. "Handwerklicher Rahmenbau ist seit den 80er, 90er Jahren zu einer Nische innerhalb der Fahrradbranche geworden. Das, was wir machen, ist reine Liebhaberei." Soeben hat man das Material für weitere elf Rahmen bestellt. Vier Kinderräder, Rennräder, Randonneure, ein MTB und Singlespeeder sollen daraus entstehen. Fahrräder kann man eben nie genug haben. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 1.10.2012)

Termin: Am 17. Oktober halten die Selberbruzzler im Fahrradhaus ab 19 Uhr einen Vortrag zum Thema "handwerklicher Fahrradrahmenbau" mit vielen Bildern und Ausstellungstücken der Profis von der EHBE.

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