Wien - Die erste zentraleuropäische Konferenz über personalisierte Medizin am Wiener AKH (bis 1. September): Wie diffizil die Sache ist, stellte am Freitag der Schweizer Pharmakologe Urs Meyer (Biozentrum der Universität Basel) in einem Einführungsvortrag dar. Das Problem: Die feinsten Charakteristika von einzelnen Patienten, der individuell vorliegenden Krankheitsprozesse und der jeweils vorhandenen Arzneimittel müssen bestimmt, in ihrem Verlauf im Zuge der Behandlung beobachtet und in eine Behandlungskonzept integriert werden.

Die Ausgangslage, so Meyer: "Für Krebs, Atherosklerose, Demenzen, Multiple Sklerose und das Emphysem haben wir keine effektiven oder gar heilenden Behandlungen. Es gibt eine Lücke bei neuen Arzneimitteln. 90 Prozent der Medikamente wirken nur bei 30 bis 60 Prozent der Patienten. 300 Milliarden US-Dollar verpuffen pro Jahr für ineffektive Therapien. 90 Prozent der Fehlschläge bei Wirksamkeitsstudien (Phase III) oder bei der Registrierung von neuen Medikamenten im Jahr 2011 waren auf Unwirksamkeit (66 Prozent, Anm.) bzw. Sicherheitsbedenken (21 Prozent, Anm.) zurückzuführen."

Wirkung vor Nebenwirkung

Die personalisierte Medizin soll hier im Idealbild Folgendes ermöglichen: Jeder Patient bekommt nur die Therapie, die seiner ganz individuellen Situation entspricht - mehr Wirkung bei weniger Nebenwirkungen.

Doch das ist nicht so einfach durchzuführen. Der Experte: "Wir sind alle 'Mutanten'. Es gibt kein 'normales Genom'." Ein Beispiel: Bei jedem Neugeborenen sind 400.000 bis 600.000 Basenbestandteile der Erbsubstanz "neu" - also weder vom Vater noch von der Mutter vererbt. Das macht einen wesentlichen Teil der Individualität in Gesundheit und Krankheit aus.

Die personalisierte Medizin soll aber "präzise, vorhersagend, präventiv, persönlich und den Patienten aktiv einbeziehend" sein. Technologische Fortschritte sollen das immer leichter erreichbar machen. Meyer: "Wir haben einen Tsunami an neuen Daten. Die Sequenzierung des Genoms eines Menschen dauert nur noch etwa einen Tag und kostet weniger als 1.000 US-Dollar. Aber die notwendige Analyse der Daten kostet dann 30.000 bis 100.000 US-Dollar."

Gezielte Therapien

Die Entwicklung ist aber nicht mehr aufzuhalten: In den Fach- und Gebrauchsinformationen von mehr als hundert Arzneimitteln sind bereits Informationen über die Pharmagenomik (z.B. Verstoffwechselung des Wirkstoffes) enthalten. Es gibt mehr als 40 Biomarker, über die man spezifische Medikamente aussuchen kann. Bei mehr als 50 Arzneimitteln gibt es bereits einen Konnex zwischen Molekularbiologie bzw. Genetik und Sicherheitsaspekten.

Heinrich Klech, Präsident der Vienna School of Clinical Research und Mitveranstalter der Konferenz: "Diese Erkenntnisse bieten wesentliche Vorteile für Patienten. Es lassen sich Therapien entwickeln, die deutlich gezielter wirken können, die weniger Nebenwirkungen haben und weniger Misserfolge bedeuten. Denn gewisse genetische Strukturen sprechen auf gewisse Therapien eher an. Aber auch für das Gesundheitswesen ergeben sich daraus potenziell ein geringerer Aufwand und geringere Kosten." Zu letzteren auch Gesundheitsminister Alois Stöger bei der Eröffnung der Veranstaltung: "Wir sollten uns von der Finanzierung am Anfang der Forschungsarbeit nicht behindern lassen." (APA, 31.8.2012)