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Einen Abschluss an der Elite-Uni in der Tasche, einen Job in Österreich in Aussicht - doch die Aufenthaltsberechtigung lässt auf sich warten: Das sei kein Einzelfall, sagen RechtsanwältInnen.

Foto: dapd/Maya Alleruzzo

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Die ganz in Blau-Rosa gehaltene Rot-Weiß-Rot-Card.

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Jahrelang kamen weniger Schlüsselkräfte nach Österreich als erwünscht - und gleichzeitig standen einwanderungswillige ArbeitsmigrantInnen vor der Tür, die nicht hereingelassen wurden. Der Grund: Jedes Jahr wurde per Gesetz festgeschrieben, wie viele Schlüsselkräfte ins Land dürfen, und die Quote wurde fast nie ausgeschöpft. Die Voraussetzungen, um als Schlüsselkraft zu gelten, waren schwer zu erfüllen - wirklich leicht hatten es nur SportlerInnen, die bekanntlich in lokalen Vereinen immer gern gesehen sind. 

Im vergangenen Jahr sollte diese Lücke endlich geschlossen werden: Mit der Rot-Weiß-Rot-Card wurde ein Punktesystem geschaffen, um Nicht-EU-BürgerInnen die Jobsuche in Österreich zu erleichtern - und um der Wirtschaft, die seit Jahren unter einem Fachkräftemangel stöhnt, einen alten Wunsch zu erfüllen.

Bis zu 8.000 Karten sollten jährlich ausgegeben werden, kündigte das Sozialministerium bei der Einführung der Karte im Juni 2011 an. Doch tatsächlich vergeben wurden im ersten Jahr lediglich 1.556 Karten. Woran liegt das? RechtsanwältInnen, die öfters mit RWR-Card-Verfahren betraut sind, sehen den Grund in teils langen, komplizierten Verfahren. Von Bürokratie, sogar von Schikane ist die Rede.

Behörden-Parcours

Spitzenkräften, die ihren Antrag auf die Karte vom Ausland aus stellen, werde dies äußerst schwer gemacht, sagt der Wiener Rechtsanwalt Georg Bürstmayr. Die Bestimmungen seien "zum Teil schikanös", meint der Jurist, der regelmäßig einwanderungswillige ausländische Spitzenkräfte vertritt. Die MandantInnen hätten meist Jobzusagen für hoch dotierte Positionen in der Tasche - müssten dann aber einen Behördenparcours durchlaufen, der auf manche abschreckend wirke. "Nicht nur einer sagt, er geht dann lieber gleich nach Bratislava", so Bürstmayr.

Ein Beispiel: Ein japanischer Klient habe seine - für die erforderliche Punkteanzahl wichtigen - Englisch-Sprachzeugnisse nicht verwerten dürfen, weil die Prüfung 18 Monate zurücklag, das Zeugnis somit als "zu alt" angesehen wurde. Ein anderer Mandant musste viermal zur Botschaft fahren, um Dokumente nachzubringen - "wobei die Botschaft 1.000 Kilometer von seinem Zuhause entfernt ist", so Bürstmayr, der das "absurd" findet: Schließlich gehe es hier um österreichische Unternehmen, die hoch qualifizierte Spitzenkräfte aus dem Ausland anwerben wollen.

Job ja, Visum nein

Auch der Wiener Rechtsanwalt Thomas Neugschwendtner spricht von "irrsinnig bürokratischen Verhältnissen" bei der Kartenvergabe. Die Verfahren beim Arbeitsmarktservice (AMS) sollten laut Gesetz maximal acht Wochen dauern, de facto dauere es in manchen Fällen aber mehrere Monate. Bürstmayr: "Wenn Sie als Unternehmer ein halbes Jahr brauchen, um eine offene Stelle zu besetzen, dann ist das in kompetitiven Bereichen schlichtweg zu lang."

Manche orten den Grund für die Verfahrensverzögerung in einer auf "Abschottung" ausgerichteten Gesinnung. "Es herrscht der Grundgedanke, dass primär Missbrauch vermieden werden soll. Darum wird ganz genau geschaut: Welches Papier könnte eventuell noch fehlen?", sagt Neugschwendtner. Auch der Wiener Rechtsanwalt Herbert Pochieser hat diese Erfahrung gemacht. "Beim AMS herrscht in vielen Köpfen die Tendenz, dass der Arbeitsmarkt abgeschottet werden soll. Man fürchtet sich davor, den Arbeitsmarkt zu sehr aufzumachen." 

AMS: "Sind sehr schnell"

Eine Kritik, die Michaela Lobnig von der Ausländerbeschäftigungsstelle des AMS nicht gelten lässt: "Wenn man uns alle Dokumente vorlegt, dann gibt es sehr schnell ein Gutachten", sagt Lobnig. Oft fehlten aber wichtige Urkunden, dadurch verzögere sich dann alles. Dass es aber vor allem in Wien besonders häufig zu langen Verfahren kommt, weiß auch Lobnig - die Verantwortung dafür liege jedoch nicht beim AMS, sondern bei der Aufenthaltsbehörde MA 35, die auf Basis der AMS-Gutachten die RWR-Karten ausstellt. Die MA35 als Flaschenhals? "Könnte man so sagen", meint Lobnig.

"Acht Wochen zu wenig"

In der MA 35 erhielt derStandard.at eine ähnliche Antwort, nur eben spiegelverkehrt: Schuld seien fehlende Dokumente - und Verzögerungen seitens des AMS. Und: Der Gesetzgeber solle sich überlegen, ob die Acht-Wochen-Frist angemessen sei - "das in dieser Zeit zu erledigen ist vielleicht nicht realistisch", meint Ivica Kvasina von der MA 35.

Wer bin ich?

Das Problem liege aber nicht nur im Vollzug, sondern zum Teil im Gesetz selbst, meint Anwalt Neugschwendtner: Besonders Hochqualifizierte müssten sich zuallererst mit der Frage aller Fragen beschäftigen: Wer bin ich? In diesem Fall heißt das: hoch qualifiziert, Fachkraft oder doch "sonstige Schlüsselkraft"? Je nachdem, in welche Gruppe man sich einordnet, gelten nämlich unterschiedliche Punktesysteme. 

Ein späteres Switchen zwischen den Gruppen ist nicht möglich. Stellt sich also während des Verfahrens heraus, dass die bosnische Bankmanagerin oder der russische Informatiker doch in eine andere Gruppe fällt, heißt es: zurück zum Start, mit hohem Zeitverlust. Neugschwendtner hält es für "problematisch, dass man nicht während des Verfahrens ummodeln kann".

Abwarten im Ausland

Für Kritik sorgt auch, dass Hochqualifizierte im Ausland, die bereits einen Job in Österreich in der Tasche haben, nicht einfach eine RWR-Card beantragen können - sondern vorher bei der Botschaft ein Visum beantragen und dieses abwarten müssen und erst dann einen Antrag auf die Karte stellen dürfen. Für Firmen, die schnell eine Stelle zu besetzen haben, dauert das oft zu lange - und die Schlüsselkraft wandert möglicherweise doch dorthin, wo das Immigrieren weniger bürokratisch von statten geht. "Für Menschen, die es sich aussuchen können, wo sie hingehen, ist das nicht sehr attraktiv".

Jungen Uni-AbsolventInnen, die in Österreich einen Bachelortitel erworben haben, bleibt die Tür zur RWR-Card indes gänzlich verschlossen. Auch Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle hat das zuletzt kritisiert und eine Neuverhandlung der RWR-Card gefordert.

Neue Chance für Langansässige

Aber bei aller Kritik an den Abläufen: Die Punkteregelung der RWR-Card sei sinnvoll und "relativ klar", meint Neugschwendtner. Anwalt Pochieser, der hauptsächlich langansässige Asylsuchende vertritt, lobt zudem, dass die RWR-Card in ganz bestimmten Fällen langansässigen Menschen neue Chancen eröffne: Ihm sei es gelungen, für mehrere abgelehnte Asylsuchende, die kurz vor der Ausweisung standen, einen Wechsel ins RWR-Card-Regime zu erreichen. Möglich ist das aber nur in ganz bestimmten Fällen - etwa dann, wenn einE AsylsuchendeR den Job vor der Einführung des Arbeitsverbots 2004 angenommen und über die Jahre hinweg behalten hat und wenn der Job als "Mangelberuf" gilt.

Der Großteil der vergebenen Karten betrifft die "sonstigen Schlüsselkräfte": Hier darf die Karte nur ausgestellt werden, wenn sich für den betreffenden Job keinE inländischeR BewerberIn findet. Die meisten RWR-Card-BezieherInnen kommen aus Russland, Bosnien und den USA und sind entweder ManagerInnen, Software-EntwicklerInnen oder SportlerInnen. (Maria Sterkl, derStandard.at, 28.8.2012)