Egon Schieles "Sitzende Frau" (147.500 Euro): Jane Kallir wollte kein Gutachten abgeben, ein solches bekam das Berliner Auktionshaus schließlich im Belvedere.

Foto: Lehr Auktionen

Lothar Bolz soll der bedeutendste Kunstsammler in der DDR gewesen sein. Wie es dem ehemaligen Außenminister (1953 bis 1965) gelang, die angeblich größte Privatkollektion des Landes anzuhäufen, wird wohl ein Rätsel bleiben. Denn die in Staatsbesitz befindlichen Galerien verkauften ausschließlich von der Kulturpolitik Goutiertes, er aber hegte eine Leidenschaft für den verpönten (deutschen) Expressionismus. Abseits des offiziellen existierte freilich auch der alternative Weg über Zufallsbekanntschaften oder Flüsterpropaganda. Kurz, der 1986 verstorbene Altkommunist kaufte heimlich, wie ein Journalist 2005 öffentlich machte.

Ab und an tauchen Teile dieser Sammlung auf dem Kunstmarkt auf, in kleineren deutschen Auktionshäusern, wo die Rekonstruktion der Vorbesitzerhistorie im Gegensatz zu internationalen Marktplätzen kaum Priorität genießt. So gelangte Ende April in Berlin etwa eine Zeichnung von Egon Schiele aus ehemaligem Bolz-Besitz bei "Irene Lehr Auktionen" zur Versteigerung, Zuschlag: 147.500 Euro.

Vermeintliches Schnäppchen

Laut den Töchtern des DDR-Politikers soll er sie in den 1960er-Jahren schon besessen haben, wo und bei wem erworben, wisse man nicht. Lehr hält es für denkbar, ja naheliegend, dass es sich um ein Präsent handelt, überreicht im Zuge eines Staatsbesuches. Statt des sonst üblichen Porzellan-Lipizzaners? Nun, Bolz' Passion sei ja bekannt gewesen. Wann, ja ob er Wien einen Besuch abstattete, man weiß es nicht. Einerlei.

Verglichen mit Werten, die sonst für solche Blätter realisierbar sind, notiert dieser in Berlin erzielte in der Kategorie Schnäppchen - oder auch nicht. Denn die lückenhafte Herkunftsgeschichte war nicht der einzige Grund, warum der sonst nach Schiele-Zeichnungen geifernde internationale Kunsthandel keinerlei Interesse bekundete. Der andere lag in dem Umstand, dass Sitzende Frau, si gniert und 1917 datiert, bislang nicht im Werkverzeichnis publiziert war und Jane Kallir auch nach genauerer Untersuchung kein Gutachten liefern wollte. Es gebe immer wieder Fälle, die nicht eindeutig sind, erläutert die Expertin, die jährlich bis zu 40 Fälschungen entlarvt. Dazu sei sie sich der großen Verantwortung bewusst, über ansehnliche Werte zu entscheiden, weshalb sie ihr Urteil nur bei 100-prozentiger Gewissheit geben könne.

Laut einer Mitarbeiterin des Berliner Auktionshauses habe man sich anschließend an die Witwe des Schiele-Kenners Rudolf Leopold gewandt, aber keine Antwort erhalten. Das stimmt nicht, war aus dem Leopold-Museum zu erfahren. Im Gegenteil, es habe ein ausführliches Telefonat mit Irene Lehr gegeben, die das auf aktuelle Anfrage nun bestätigt, aber keine inhaltlichen Details nennen möchte. Kein Wunder, denn Elisabeth Leopold ist der Meinung, dass es sich um eine Fälschung handelt, wie sie den Standard wissen ließ. Die Signatur sei aus dem Kallir-Buch kopiert, stilistisch entspreche die Darstellung eher noch Arbeiten aus 1914, nur würden im direkten Vergleich dann die Mängel des Berliner Blattes offensichtlich: etwa "die unmotiviert und gekünstelt gezeichneten Wimpern" oder die vielen Konturlinien, "die ohne Aussage und leer erscheinen".

Expertisen-Shopping

Irene Lehr, gebürtige Wienerin und Enkelin Herbert Boeckls, wollte es nicht darauf beruhen lassen ("Ich bin mir meiner Sorgfaltspflicht bewusst!"), zumal sie gerade wegen der Schwächen von der Echtheit überzeugt war und ist. "Mit einer Expertise ist so ein Werk doch das Doppelte wert", weiß auch die Inhaberin des Auktionshauses. Und so folgte, was in der Fachwelt zynisch als Expertisen-Shopping bezeichnet wird. Die nächste Anlaufstelle war jedoch nicht die Albertina, die - Gouachen, Aquarelle nicht in kludiert - gefolgt vom Leopold- Museum, der Neuen Galerie New York und dem Wien-Museum den umfangreichsten Bestand an Schiele-Zeichnungen verwahrt.

Stattdessen kontaktierte sie ihre Cousine Agnes Husslein. Man sei übereingekommen, so Lehr, dass in Österreich derzeit noch ein maßgeblicher Schiele-Experte fehle, dies aber zweifelsfrei in der Kompetenz des Belvedere liegen würde, ja müsse (15 Ölgemälde, zwei Gouachen). Dies sei "geradezu unsere Pflicht", bekräftigt Alexander Klee, Sammlungsleiter 19. und 20. Jahrhundert, auf dessen Schreibtisch die Causa und die Zeichnung landeten.

Auch wenn sein Gutachten teils eher an eine Katalogbeschreibung erinnert, so lässt es punkto Echtheit keinerlei Zweifel. "Technik, Signatur, Nachlassstempel und stilkritische Einordnung" sprechen "für eine Zuschreibung zum Werk Egon Schieles". Er habe nicht nur die Linienführung, sondern auch noch das Papier mit Arbeiten in der Albertina verglichen, erklärt er im Gespräch. Lediglich "die Möglichkeit der Ergänzung von fremder Hand (im Bereich des Unterrockes)" will er "nicht restlos ausschließen".

Seitens des Kunsthandels, durch dessen Hände im Laufe der Jahre mehr Schiele-Zeichnungen wanderten, als manches Museum zum Bestand zählt, fallen die Reaktionen zu diesem Gutachten eindeutig aus. Mutig, anmaßend, insgesamt aber ohnedies wertlos.

Denn international habe ausschließlich Kallirs Meinung Gewicht, nicht nur bei den Auktionsgiganten Christie's und Sotheby's. Bei der Tefaf in Maastricht würde dieses Schiele-Werk beispielsweise sofort und unerbittlich ausjuriert, selbst mit einer Expertise von Rudolf Leopold, die zwischenzeitlich ebenso gefälscht werden, wie das Leopold-Museum bestätigt. Wenn Jane Kallir keine Expertise geben kann oder will, dann sei das Aussage genug. Schließlich kann eine Zeichnung nicht nur ein bisserl Schiele sein, um eine britische Redewendung ("You can't be just a little bit pregnant") zu bemühen. Dem neuen Besitzer, einem Berliner Privatsammler, sei das dem Vernehmen nach nicht wichtig gewesen. Sollte er jemals einen Verkauf in Erwägung ziehen, wird ihm das im Belvedere ergatterte Gutachten dabei ohnedies keinen Dienst erweisen. (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 25./26.8.2012)