Der Bildpunkt. Zeitschrift der IG BILDENDE KUNST erscheint vier Mal im Jahr. Jede Ausgabe widmet sich einem Themenschwerpunkt. Zentral sind dabei ästhetische, aktivistische und theoretische Strategien samt ihrer gegenseitigen Verschränkungen und Überschneidungen. Drei künstlerische Positionen brechen jeweils das Textmonopol. Thema der aktuellen Ausgabe: "Übers Geld reden"

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cover: bildpunkt/toledo i dertschei

Geld, "das allgemeine Äquivalent aller Waren" (Marx), ist im Kontext der Finanzkrise erneut zum Thema für soziale Bewegungen geworden: die so genannte Vernichtung des Geldes, seine falsche Umverteilung, das Geld als "das 'Geltende' schlechthin" (Georg Simmel), also als etwas, das kulturell normierend wirkt. Im Kunstfeld ist es, den hier herrschenden Normen entsprechend, häufig noch immer ein Tabu, finanzielle Angelegenheiten zu thematisieren. Und das, obwohl prekäre Arbeitsverhältnisse und unklare Abgeltung von Arbeit an der Tagesordnung sind. Höchste Zeit also, übers Geld zu reden.

Bildpunkt: Pascal, Du beschäftigst Dich als Soziologe seit längerem mit Prekarisierung, insbesondere im kulturellen Feld. Künstlerinnen und Künstler gelten einerseits aufgrund ihrer Flexibilität, ihrer Mobilität und der angeblichen Rund-um-die-Uhr-Hingabe an ihren Beruf als Role-Models für die Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse. Andererseits gehören aber gerade KünstlerInnen zu denjenigen, die trotz guter Ausbildung am miesesten verdienen und am stärksten frustriert sind. Wie geht das zusammen? Wie konnten KünstlerInnen also zu Vorbildern werden?

Pascal Jurt: Die "celebrity culture" hat, wie Isabelle Graw in ihrem Buch Der große Preis zeigen konnte, sicher zur Aufwertung von (einigen) künstlerischen Existenzweisen geführt. Ein weiterer wichtiger Grund war, dass im ideologischen Diskurs der letzten Jahre Arbeits- und Organisationsformen künstlerischer Felder bzw. die Bewältigungsstrategien von Prekarität und Unsicherheit verstärkt auch als „Modelle künftiger Arbeitsmärkte" gehandelt werden. Im traditionellen Verständnis waren KünstlerInnen für das als autonom verstandene "Ästhetische" zuständig, das vom "Leben" abgegrenzt war. In den heutigen KünstlerInnen-Praktiken selber manifestiert sich ein völlig neues Verhältnis, bei dem sich die Probleme der materiellen Lebensführung und der künstlerischen Praxis in (oft widersprüchlicher Form) durchdringen. Nach wie vor schafft es aber nur ein Bruchteil der Künstlerinnen (ca. 2 % der AbsolventInnen von Kunsthochschulen), von der Kunst zu leben. Die meisten KünstlerInnen sind in Mehrfachbeschäftigungs-Modelle oder in Selbstausbeutungs-Verhältnisse involviert und stehen unter zeitlichem Druck, der wenig Möglichkeiten für freies und selbstbestimmtes Arbeiten lässt. Die Frage, die sich stellt, ist doch, wie lange lässt sich unter prekären Bedingungen die "Liebe zur Kunst" aufrechterhalten. Viele Kreativ-Subjekte nehmen den Entfremdungsprozess, der sich aus ihren Arbeitsbedingungen ergibt, weniger als Problem des Kunstbetriebes wahr, sondern "rationalisieren" es als individuelles Schicksal.

Bildpunkt: Gabriele Michalitsch, Sie haben eine ganze Reihe von Texten zur feministischen Ökonomiekritik geschrieben. Darin sprechen Sie u.a. von "selbstregulierten Subjekten", die für die gegenwärtige Phase des neoliberalen Kapitalismus prägend seien. Selbstorganisation, Selbstbestimmung - das waren ja auch mal emanzipatorische Kampfbegriffe. Sind sie auch zur Grundlage für die "Selbstregulation" geworden? Sind linksradikale, auch feministische Konzepte gar mitverantwortlich für die neoliberalen Reg(ul)ierungsformen - wie etwa Soziologinnen wie Eva Illouz in anklagendem Ton behaupten?

Gabriele Michalitsch: Selbstregulation hat nichts mit Selbstbestimmung zu tun, ganz im Gegenteil. Im neoliberalen Kontext wurde das Individuum als unternehmerisches und konkurrenzielles Subjekt redefiniert, das am Markt-Erfolg gemessen wird. „Selbstregulation" meint gesellschaftliche Steuerung durch Wettbewerb auf dem Markt, die staatliche Regulationsformen mehr und mehr abgelöst hat und scheinbar ohne Zwang auskommt. Dass die Einzelnen keine Wahl haben, ob sie an diesem Wettbewerb teilnehmen wollen, wird dabei ausgeblendet. Selbstregulation meint demnach die Unterwerfung des Subjekts unter "den Markt" - und das heißt letztlich immer: unter das Kapital, das übrigens fast ausschließlich in männlicher Hand ist.
Sicher hat der "cultural turn", der auch den feministischen Diskurs erfasst hat, eine gewisse Entpolitisierung bedeutet. Aber ausgerechnet Feminismus für Neoliberalismus verantwortlich machen zu wollen, scheint mir verfehlt.

Bildpunkt: Kunst und Geld wurden ja lange Zeit als eher gegenläufig funktionierende Phänomene behandelt: Die von KünstlerInnen erkämpfte, autonome Nutzlosigkeit ihrer Arbeiten stand der totalen Gebrauchsfixierung des Geldes gegenüber. Mittlerweile ist es längst nicht mehr anrüchig (wie noch von Van Gogh bis Pollock), mit guter Kunst auch viel Geld zu verdienen und umgekehrt schämt sich auch niemand, Kunst als Investment zu betrachten. Wenn aber KünstlerInnen für ihre Arbeit Geld einfordern, gilt das - trotz gestiegener Prekarisierungssensibilität - doch häufig als unpassend und aufdringlich. Wie ließe sich da gegensteuern?

Gabriele Michalitsch: Zunächst müsste die Anerkennung und Bewertung von Arbeit stärker thematisiert werden. Welche Tätigkeiten gelten in unserer Gesellschaft als Arbeit? Und was sollen sie dieser Gesellschaft wert sein? Dabei wäre nicht von Profitchancen auszugehen, sondern von gesellschaftlichen Notwendigkeiten, von Versorgung von Menschen - keineswegs nur mit Gütern. Darüber hinaus wäre die grundlegende Frage zu stellen, wie weit Marktprinzipien herrschen sollen. Das wäre also im Speziellen auch die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Kulturindustrie.

Pascal Jurt: Der Kunstbetrieb ist zwar von extremen Konkurrenzverhältnissen und sozialen Verdrängungsmechanismen durchzogen, oft wird jedoch der Eindruck erweckt, es gehe - anders als in nicht-kulturellen Feldern - kollegialer und solidarischer zu. Jedoch operieren auch KünstlerInnen-Subjekte hochgradig selektiv. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Teilhabe an den konstitutiven Interessen der Zugehörigkeit zu einem Feld das Akzeptieren einer Gesamtheit von Vorannahmen und Postulaten impliziert, wie z.B. das Interesse an einem ökonomischen Desinteresse, die als undiskutierbare Voraussetzung der Diskussion vor der Diskussion geschützt bleiben will. Wenn über Geld gesprochen wird, dann oft nur ironisch. In der von Bourdieus Projekt La misère du monde inspirierten Studie Ein halbes Leben (Herausgegeben von Franz Schultheis, Berthold Vogel und Michael Gemperle) haben sowohl Ulf Wuggenig als auch ich, gestützt auf die Methode des sozio-analytischen biographischen Interviews, versucht mit AkteurInnen aus dem kulturellen Feld, nicht nur über Arbeits- und Lebensbedingungen, sondern auch über ganz profane Dinge, wie eben Geld zu sprechen. Die Musikerin, die ich interviewt habe, bringt ganz gut auf den Punkt, wie man aus der Not eine Tugend macht, wenn sie behauptet, dass sie mit Freunden und Freundinnen in einem internen Wettbewerb stehe, wer mit weniger als 1000 Euro im Monat auskomme. Marx hat das auch ganz treffend beschrieben: "Sie stellen sich theoretisch auf den Standpunkt, zu dem sie praktisch gezwungen sind". Wahrscheinlich müsste man versuchen - beyond selbsttechnologischer Kontrollformen - sich gemeinsam zu organisieren und finanzielle Forderungen stellen. In einem ein Feld, dass seinen Subjekten jedoch extrem nomadenhafte, transnationale Existenzformen und Arbeitsweisen mit entsprechenden Mobilitäts - und Flexibilitätszwängen abverlangt, ist das natürlich einfacher gesagt als getan.

Bildpunkt: Wenn man nun davon ausgeht, dass die Ökonomisierung alles durchdringt und zugleich sämtliche, früher für die Verwertung kaum interessante Eigenschaften wie Kommunikationsfähigkeit und Kreativität den kognitiven Kapitalismus ausmachen - was für Schlüsse sind denn konkret daraus zu ziehen? Nur noch für Geld arbeiten? Dann würde es mit der Kunstproduktion allerdings sehr dürftig weitergehen und auch das Gros des radikalen politischen Aktivismus würde es nicht mehr geben.

Pascal Jurt: Da das Kunstfeld von (dem für den communicative capitalism so entscheidenden) Kooperationszwang, celebrity culture, und industrieller Kunstproduktion geprägt ist, werden selbst die Spielräume "radikalpolitischer" oder "markt-kritischer" KünstlerInnen immer enger. Allerdings hat sich in den letzten Jahren auch einiges getan, wenn man an verschiedene Artikulationen an unterschiedlichen Orten denkt. Es gibt also noch Hoffnung für die Hoffnungslosen. Neue Formen der Künstlerexistenz generieren auch einen (nicht unwichtigen) Reflexionsprozess bei den AkteurInnen. Man müsste also sowohl die Praktiken als auch die Reflexionen über diese Praktiken ins Auge fassen, um dann daraus weitergehende (universalisierbare) Schlüsse zu ziehen.

Gabriele Michalitsch: Nur noch für Geld zu arbeiten, würde bedeuten, sich den herrschenden Verhältnissen widerstandslos zu fügen. Die Gefahr besteht ja gerade darin, dass wir unsere ganze Persönlichkeit, unsere ganze Existenz nun völlig „dem Markt" unterwerfen - und es immer weniger merken. Angesagt wäre meines Erachtens vielmehr, die fortschreitende Ökonomisierung der Gesellschaft auch in der Kunst zu problematisieren und zu politisieren. Das hieße, sehr grundlegend nach der Freiheit von Kunst zu fragen.

Bildpunkt: Kunstschaffende kommen zum Großteil aus mit ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital gut ausgestatteten Familien, in Österreich steigt ihr Anteil unter den Künstler_innen sogar. So schwingt bei Forderungen nach besserer Bezahlung künstlerischer Arbeit immer auch die Gefahr eines Anspruchs auf weitere Unterstützung der sowieso schon Privilegierten mit. Gleichzeitig wären gerade bessere Arbeitsbedingungen im künstlerischen Feld Mitvorraussetzung dafür, dass Menschen aus finanziell wenig abgesicherten Verhältnissen als Künstler_innen tätig werden. Welche Strategien haltet ihr für hilfreich, um diese Dimension in den Diskussionen produktiv sichtbar zu machen - ohne eine Prekarität gegen die andere auszuspielen, aber auch ohne sie gleichzumachen?

Gabriele Michalitsch: Kunst ist meines Erachtens immer eng an die herrschende Klasse gebunden und mit Geschlecht verknüpft, etwas zugespitzt: Kunst und Wissenschaft waren in der Moderne stets von älteren, weißen Männern der Oberschicht dominiert. Neoliberale Transformation führte (und führt) zu zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und geringer werdender sozialer Durchlässigkeit. Das heißt natürlich auch, dass sich Wissenschaft und Kunst nach ihrer Öffnung in den 1970er Jahren wieder zunehmend nach unten und gegen Frauen abschließen. Diese Entwicklung müsste viel mehr thematisiert und angegriffen werden.

Pascal Jurt: Auch wenn die meisten Kulturschaffenden einen (bildungs-)bürgerlichen Hintergrund haben, sind sie oft prekäre Selbständige. Viele leiden ja darunter, dass sie ihr akkumuliertes kulturelles Kapital nicht verwerten können. Auch wenn dies zu anderen Feldern, die schon immer von Prekarisierung geprägt waren, oft nur ein Passagenmilieu bleibt, vielleicht ist diese frustrierte Elite ja mal bereit zum Klassenverrat. Spaß beiseite, es bedarf sicherlich präziser (Sozialstruktur- und Feld-)Analysen, aber auch Untersuchungen subjektiver Bewältigungsstrategien und Selbstwahrnehmungen von Prekarisierungserfahrungen. Vielleicht müssen sich auch die Akademien grundlegend ändern und die Vermittlung von Wissen neu strukturieren. Es müsste ein Weg gesucht werden, die Vermittlung von (diskursivem) Wissen in Bezug auf die Kategorien "Klasse", "Race" und Gender (ohne populistisch-unterkomplex zu werden) zu reflektieren. Das ist fürwahr kein einfaches Unterfangen.

(Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Sommer 2012, "Übers Geld reden". Eine Kooperation zwischen Bildpunkt und derStandard.at/Kultur)