Bild nicht mehr verfügbar.

"Ich glaube, Evgeni Nikitin hat die Vergangenheit hier nicht in ihrer Komplexität reflektiert. Es ist eben doch ein Unterschied, etwas zu wissen, und dann vor Ort zu sein": Katharina Wagner

Foto: epa/MAURIZIO GAMBARINI

STANDARD: Was ist eigentlich dran am kolportierten Rückgang der Kartennachfrage?

Wagner: Wir haben die Auflage vom Bund bekommen, möglichst viele Karten in den Freiverkauf zu geben. Wir mussten deshalb leider manchen Leuten, die immer bestellt und ein Kontingent bekommen haben, wie zum Beispiel den Wagnerverbänden, mitteilen, dass wir sie nicht mehr jährlich berücksichtigen können. Von denen haben dann einige gar nicht mehr bestellt. Aber man bemerkt auch die wirtschaftliche Situation. Deutlich ist eine Umschichtung des Bestellverhaltens auf das mittlere Preissegment. Das obere ist dann manchmal nur noch dreifach und das mittlere auf einmal zwölffach überbucht. Man kann also nicht so pauschal sagen, dass die Kartenbestellungen zurückgehen.

STANDARD: Heuer sind Sie ja im Graben vor allem mit Thielemann, Nelsons, Jordan sehr gut aufgestellt - wie ist denn Ihre künstlerische Bilanz des Festspieljahrgangs?

Wagner: Nach meinem Eindruck insgesamt sehr positiv. Bei den von Ihnen genannten Dirigenten sowieso. Aber auch bei den Sängern. Bis jetzt ist keiner krank geworden, was bei der Belastung schon erstaunlich ist. Auch die Neubesetzungen, nehmen Sie nur Torsten Kerl, um ein Beispiel zu nennen. Künstlerisch sind wir aus meiner Sicht auf einem sehr guten Niveau.

STANDARD: Und dann hat Sie zu Beginn der Festspiele doch die Vergangenheit eingeholt. Und der russische "Holländer"-Sänger Evgeni Nikitin ist wegen seiner über die Bildschirme geisternden Nazi-Tattoos abgereist. War das die einzige Option?

Wagner: Es war keine Frage der Option - wir haben ihn gefragt, wie wir nach seiner Ansicht mit der Situation umgehen sollen. Und von ihm kam sehr deutlich und gleich, dass er das in Bayreuth nicht machen kann.

STANDARD: Wieso ist er da nicht vorher draufgekommen?

Wagner: Ich glaube, dass er die Vergangenheit hier nicht in ihrer Komplexität reflektiert hat. Das war ihm bis zu dem Gespräch in dem Ausmaß wohl tatsächlich nicht bewusst. Es ist eben doch ein Unterschied, etwas zu wissen, und dann vor Ort zu sein.

STANDARD: Was sagen Sie denn zu den Reaktionen auf den Abgang Nikitins?

Wagner: Sie meinen Nikolaus Bachler? Nun, der kann damit umgehen, wie er meint. Mir hat es nur deswegen etwas die Sprache verschlagen, weil er es so pauschalisiert hat. Gerade meine Schwester und ich sind an der völligen Offenlegung von allem interessiert, was mit der Vergangenheit der Festspiele zu tun hat. Immer zu sagen "die Familie Wagner" - das ist sehr undifferenziert. Gerade Nike und dem Stamm Wieland kann man so einen Vorwurf nicht machen. Und Eva und mir auch nicht. Da muss man schon innerhalb der Familie differenzieren.

STANDARD: Manch einer unterstellt Ihnen, Sie würden die Aufarbeitung zumindest verzögern oder die Falschen damit beauftragen.

Wagner: Wolfram Pyta ist ein anerkannter Historiker und der Journalist Peter Siebenmorgen auch. Dass jeder Historiker streitbar ist, ist normal. Ich habe den beiden das Material unter der Prämisse gegeben, festzustellen, ob es zum Thema Drittes Reich und Festspiele noch neue Erkenntnisse gibt. So wie wir es versprochen hatten. Dass da anscheinend keine neuen, spektakulären Erkenntnisse enthalten sind, die die Geschichtsschreibung verändern würden, hat Siebenmorgen im Nordbayerischen Kurier schon gesagt. Und dass Winifred Wagner eine Netzwerkerin war, weiß jeder. Ich habe noch mal mit einem anderen Fachmann, den mir Nike auch empfohlen hat, Rücksprache genommen und angeboten reinzuschauen. Auch der riet zum Bundesarchiv. Da auch die beiden, die ich beauftragt habe, der Meinung sind, den Nachlass dem Bundesarchiv zu übergeben, werde ich das wohl tun. Auf jeden Fall kommt der Nachlass an ein öffentliches Institut und wird somit zugänglich.

STANDARD: Und der ominöse Münchner Panzerschrank mit Winifreds Nachlass?

Wagner: Es gibt eben auch noch andere Nachlässe. Es gibt Dinge, die allen vier Stämmen gehören, und es gibt den Nachlass von Winifred, der 1976 an Amélie Hohmann übergeben worden ist. Das Pro blem ist, dass auch mit dem Wort Nachlass undifferenziert umgegangen wird. Der Wieland-Stamm hat seinen Nachlass nach Salzburg an die Universität gegeben, also einer öffentlich zugänglichen Institution. Ich will das auch so machen. Mit Amélie Hohmann gibt es Kontakte über einen Anwalt. Wir müssen uns als Erbengemeinschaft produktiv und vernünftig einigen, dass alles, was der Öffentlichkeit bislang noch nicht zugänglich ist, zugänglich gemacht wird. Punkt.

STANDARD: Sie sind jetzt gemeinsam mit Ihrer Schwester seit 2008 im Amt, Ihre Gegner in manchen Redaktionen beleben schon die alte Führungsdebatte neu. Wie fühlen Sie sich in der Festspielleitung?

Wagner: Das Arbeitsklima an der Spitze ist sehr gut. Letztlich wird man das, was Eva und Katharinas Arbeit wirklich bewertbar macht, erst ab 2016 sehen. Es ist ja klar, dass der Ring im Grunde zu spät besetzt wurde, das hätte schon geschehen sein müssen, bevor wir angetreten sind. Wobei wir - das muss ich klar sagen - mit Frank Castorf total glücklich sind. Nach allem was ich höre, gilt das auch für die Sänger. Nach meinem Tristan kommt dann 2016 Jonathan Meese mit dem neuen Parsifal, danach die Meistersinger. (Joachim Lange, DER STANDARD, 24.8.2012)