Cengiz Günay

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Informationsminister Michel Samaha wurde wegen Sprengstoffschmuggels festgenommen.

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Straßenkampf in Bab al-Tebbaneh, Tripoli.

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Der Krieg in Syrien ist eine Zerreißprobe auch für die Region. Nicht erst seit den massiven Ausschreitungen im libanesischen Tripoli schauen die internationalen Beobachter mit Sorge auf die Nachbarländer Syriens. Der Politologe und Nahostexperte Cengiz Günay spricht im Interview mit derStandard.at über syrische Interessen an einer instabilen Region und die Gefahr des Wiederauflebens des libanesischen Bürgerkriegs.

derStandard.at: Syriens Nachbarstaaten leiden längst auch am Konflikt im Nachbarland. Im benachbarten Libanon, konkret in der nordlibanesischen Stadt Tripoli, kam es diese Woche erneut zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Alawiten. Könnten diese Auseinandersetzungen aus Syrien gesteuert sein, wie immer wieder angedeutet wird, oder ist das eine Spiegelung der syrischen Konflikte im Kleinen?

Günay: Das ist nicht so einfach zu sagen. Homs, wo massive Kämpfe im syrischen Bürgerkrieg stattfinden, befindet sich quasi im Hinterland von Tripoli. Viele Syrer aus Homs fliehen nach Tripoli, wo sie teilweise Verwandte haben. Tripoli ist ein wichtiger Siedlungsraum der libanesischen Alawiten, die dem syrischen Regime nahestehen, wo auch Alawiten die Machtelite bilden. Die syrischen Flüchtlinge sind wiederum hauptsächlich Sunniten, die vor der Repression durch das Regime fliehen. Zudem gibt es die Erinnerung an ein durch die syrische Armee durchgeführtes Massaker an Sunniten in Tripoli. Durch den Zuzug der Flüchtlinge hat sich die Bevölkerungszusammensetzung verändert.

derStandard.at: Das ist ein Problem?

Günay: Ja. Das ist ein explosiver Mix, unterfüttert mit Vorurteilen, die aus der Vergangenheit im libanesischen Bürgerkrieg (1975 bis 1990, Anm.) herrühren, in dem die syrische Armee im Libanon stationiert war.

derStandard.at: Welche Motive könnte es denn für Syrien geben, solche Auseinandersetzungen gezielt anzuzetteln?

Günay: Das syrische Regime ist mit allen Wassern gewaschen und hat seit Jahrzehnten versucht, bestimmte Gruppen über ihre Grenzen hinweg zu unterstützen, die eine Machtbalance in ihrem Interesse garantierten. Das Regime gehört zum Beispiel zu den wichtigsten Unterstützern der PKK in der Türkei, Syrien ist ein wichtiges Rückzugsgebiet für die PKK. Auch im Libanon existiert ein starkes syrisches Netzwerk. Ein konkreter und aktueller Vorfall: Der ehemalige libanesische Informationsminister konnte im Auftrag Syriens Sprengstoff für geplante Anschläge in den Libanon schmuggeln. Er wurde gefasst und gestand. Tatsache ist: Je mehr Unsicherheit es in den Nachbarländern Syriens gibt, desto unwahrscheinlicher wird eine internationale Intervention aus Angst vor einem unkontrollierbaren Flächenbrand. 

Syrien agiert im Libanon seit jeher strategisch. Nach der letzten Regierungskrise 2011 konnte lange - weil Syrien sich nicht positiv einbrachte - keine neue Regierung gebildet werden. Für Syrien war ein libanesisches Machtvakuum strategisch günstiger, um der Welt und vor allem Israel und den USA zu signalisieren, dass Syrien als stabilisierende Macht in der Region eine große Bedeutung hat und nicht übergangen werden darf. Als der syrische Konflikt dann an Brutalität zunahm, war es für Syrien wiederum wichtig, schnell eine prosyrische Regierung im Libanon zu installieren. Auch weil der Libanon im UN-Sicherheitsrat und der Arabischen Liga vertreten war.

derStandard.at: Wie reagiert die Regierung in Beirut jetzt auf die Gewalt im eigenen Land?

Günay: Die Regierung in Beirut ist eine sehr schwache, weil sie eine Kompromissregierung ist. Zur Erklärung: Das gesamte politische System ist eigentlich ein Kompromiss. Das Proporzsystem im Libanon ist nach einer ethnisch-konfessionellen Logik aufgebaut, basierend auf einer Volkszählung aus dem Jahr 1932 (!). Der Staatspräsident muss nach diesem System ein Christ sein, der Parlamentspräsident ein Schiit und der Ministerpräsident ein Sunnit. So ein Verteilungsschlüssel existiert auch für die Parlamentsabgeordneten. Mittlerweile hat sich die Bevölkerungszusammensetzung aber längst geändert. Schiiten und Sunniten sind heute in diesem System stark unterrepräsentiert. Das bringt starke Spannungen, die ja mit ein Grund für den Bürgerkrieg waren.

Die aktuelle Regierung ist eher dem prosyrischen Lager im Land zuzuschreiben. Sie ist auch deshalb untätig. Dementsprechend schwach ist auch das Militär, während die schiitische Hisbollah, die die Regierung unterstützt, ein Staat im Staat ist. Sie verfügt über erhebliche eigene militärische Mittel. Es gibt nun die große Sorge, dass auch die Sunniten - die dem Militär misstrauen - sich angesichts der aktuellen Destabilisierung bewaffnen.

derStandard.at: Besteht also die Gefahr, dass der libanesische Bürgerkrieg wieder auflebt?

Günay: Bisher sind die Auseinandersetzungen noch regional begrenzt. Ich will die Gefahr nicht herunterspielen, aber eine Hoffnung ist, dass die Erinnerung an das Leid des langen Bürgerkrieges im kollektiven Gedächtnis gespeichert ist und das - gemeinsam mit dem Aufschwung der letzten Jahre - das Ausbrechen von großflächiger Gewalt verhindern kann.

derStandard.at: Welche Position hat die prosyrische, schiitische Hisbollah aktuell? Es ist ja zu hören, dass sich auch die Hisbollah langsam vom syrischen Regime abwendet.

Günay: Die Hisbollah hat zumindest schon ihre Waffenlager in Syrien aufgelöst. Zu Beginn des Konflikts in Syrien unterstützten sie ihren Verbündeten Assad massiv, mittlerweile halten sie sich zurück. Man bereitet sich scheinbar schon auf die Möglichkeit eines Sturzes von Assad vor. Während Syrien für die Hisbollah aus logistischer Sicht wichtig ist, ist der Iran der eigentlich wichtige Verbündete.

derStandard.at: Welche Auswirkungen hätte der Sturz Assads auf die Hisbollah? 

Günay: Syrien spielt für die Hisbollah eine wichtige Rolle als Verbündeter. Regionalpolitisch wäre die Hisbollah ohne die Unterstützung dieses Regimes stark geschwächt. Es ist ja zu erwarten, dass nach Assad die Rebellen tonangebend sein werden, also ein konservativ-sunnitscher Einfluss in Syrien herrscht. Die Rebellen könnten es ihnen übel nehmen, dass sie pro Assad agiert haben. Die Frage ist auch, wie sich die libanesischen Sunniten ihnen gegenüber verhalten, nachdem die syrische und iranische Unterstützung weg ist.

Das Regime in Syrien ist aber vor allem die wichtigste Verbindung zwischen der Hisbollah und dem Iran, der die Hisbollah massiv unterstützt. Reißt diese Brücke ab, ist das auch für den Iran schmerzvoll, weil die Hisbollah in der Nachbarschaft zu Israel eine zentrale Rolle spielt. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 23.8.2012)