Muhal Richard Abrams, der am Samstag in Saalfelden gastiert: "Ich beschreibe nie Musik, sie muss gehört werden!"

Foto: Jazzfestival Saalfelden / Muhal Richards Abrams

Saalfelden - Ein Gespräch mit Muhal Richard Abrams muss bei jenem Buch beginnen, das seit seiner Veröffentlichung in vieler Munde ist: "A Power Stronger than Itself - The AACM and American Experimental Music" nennt sich der Wälzer von Posaunist George Lewis, der auf 700 Seiten akribisch jene Chicagoer Avantgarde-Jazz-Kooperative untersucht, aus der er selbst hervorgegangen ist.

"Das Buch ist ein wichtiges Dokument, es ist gut gemacht, respektvoll geschrieben - von jemandem, der die AACM von innen kennt", so Abrams über jene Ar beit, die auch eine Reaktion auf diverse Marginalisierungsversuche der einstigen Jazzavantgarde durch neokonservative Ideologen im Umfeld von Trompeter Wynton Marsalis darstellt. Abrams muss es wissen; er war 1965 Gründervater der "Association for the Advancement of Creative Musicians", die noch existiert und aus der noch immer Talente wie Saxofonistin Matana Roberts kommen.

Der Begriff "Jazz" wird dort schon lange abgelehnt und als zu eng empfunden, weshalb Abrams die Situierung der AACM im Kontext "experimenteller Musik" in Lewis' Buch ausdrücklich begrüßt. "Ich verwende auch Begriffe wie ,freie Improvisation‘ oder ,Avantgarde‘ nicht. Wir haben in sehr vielen musikalischen Feldern gearbeitet - als Instrumentalisten und als Komponisten. Egal welchen Stilbegriff man verwendet: Es geht letztlich um die Musik eines Individuums."

Von diesen Individuen hat die AACM eine erstaunliche Anzahl hervorgebracht: Neben dem "Art Ensemble of Chicago" sind Henry Threadgill, Roscoe Mitchell, Wadada Leo Smith und Anthony Braxton als namhafte Beispiele jener legendären Chicagoer Musiker-Komponisten zu nennen, die sich durch stilistische Offenheit auszeichnen. Und die die Verbindung untereinander bis heute nicht haben abreißen lassen.

Es geht um Respekt

Es gehe um Respekt, meint Abrams - auf die Langlebigkeit der AACM angesprochen: "Nach dem ersten Treffen, 1965, sind jene wie dergekommen, die eigene Kom positionen spielen wollten, die Standards-Spieler hingegen nicht mehr." Man half einander "gegenseitig, wir lernten voneinander. Jeder hatte Gelegenheit, Konzerte zu geben, die anderen fungierten als Sidemen oder als assistierende Crew. So haben wir immer funktioniert." Diese Art Respekt "ist der Grund für den Zusammenhalt, den wir hatten und noch immer haben. Obwohl wir alle in verschiedenen Richtungen unterwegs sind."

Auch Abrams ist umtriebig geblieben. In den letzten Jahren hat der 81-jährige Pianist und Komponist, der 1975 nach New York City übersiedelte und auch hier eine AACM-"Dependance" begründete, mit originellen Solo-, Duo- und Trioaufnahmen erneut auf sich aufmerksam gemacht. Für die letzte Orchesteraufnahme muss man ins Jahr 1995 zur CD One Line, Two Views zurückgehen: Sie enthält Tentet-Kompositionen, aus deren farbenreichen, groovig un terfütterten Polyfonien die gesamte Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, von der Zweiten Wiener Schule bis zum Post-Free-Jazz, zu sprechen scheint.

Der Geist Schönbergs schwebt auch über manchen Kammermusikstücken, die Abrams, der auch Auftragsarbeiten für das Chicago Symphony Orchestra und das Kronos Quartet zu Buche stehen hat, 2001 auf der CD "The Visibility of Thought" veröffentlicht hat. "Ich studiere alles - inklusive Schönberg. Auch Charlie Parker. Monk. Beethoven. Ellington. Ravi Shankar", so beschreibt Abrams seine für einen AACM-Repräsentanten typische Betrachtungsweise der Musikgeschichte. "Es ist gesund, informiert zu sein. Über Leute, die ernsthafte Beiträge zur Welt der Musik schufen. Das kommt in meiner Musik sicher durch."

Abrams ist vorsichtig, wenn er über den Inhalt seiner Stücke spricht. Über die Kompositionen, die er für die Experimental Band anlässlich des Auftritts beim Jazzfestival Saalfelden ersonnen hat, will er nur sagen: "Ich beschreibe nie Musik, sie muss gehört werden! Ich finde es interessant, wenn die Leute dabei etwas anderes assoziieren als ich! Das ist Information, die ich haben will!"

Es ist übrigens der erste Auftritt der Experimental Band, die auch die Keimzelle der AACM war, seit 20 Jahren. Dafür kommt die Formation als spektakuläres All-Star-Nonett der Legenden daher: Von Roscoe Mitchell bis Wadada Leo Smith, von Henry Threadgill bis Amina Claudine Myers sind alle dabei. Ob es schwierig sei, all die Persönlichkeiten, von denen jeder für sich ein eigenes Universum repräsentiert, auf einen Nenner zu bringen? "Keineswegs. Sie waren alle in meiner Band, bevor sie bekannt wurden. Und sie sind auch heute nur einen Telefonanruf entfernt." (Andreas Felber, DER STANDARD, 23.8.2012)