"Österreich bildet Bachelor-Absolventen aus Nicht-EU-Ländern aus, und dann dürfen sie nicht hier arbeiten. Das ist absurd": Heinz W. Engl.

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Heinz W. Engl, Rektor der Uni Wien und damit der größten Universität Österreichs, ist für 30 Prozent aller Studierenden verantwortlich, muss dafür aber mit nur 15 Prozent des gesamten österreichischen Uni-Budgets auskommen - "ein Missverhältnis", das er ändern will. Mit ihm sprach Lisa Nimmervoll über Verteilungskämpfe im akademischen Gelände, 50 bis 60 Millionen Euro, die er sofort pro Jahr zusätzlich bräuchte, und die "Essenz" einer Uni-Ausbildung.

STANDARD: Rektoren sind sicher furchtlose Menschen. Aber trotzdem: Nach knapp einem Jahr im Amt - was fürchten Sie an äußeren Umständen am meisten angesichts des bevorstehenden Semesters?

Engl: Furchtlos bin ich in diesem Amt, und das muss man auch sein, weil sich die Rahmenbedingungen ständig verändern und wir momentan nicht wissen, was in den nächsten drei Jahren auf uns zukommt. Wissenschaftsminister Töchterle hat einmal gesagt, die Rektoren sollen nicht immer vom Geld reden, aber natürlich ist der limitierende Faktor für die nächsten drei Jahre das Budget. Wir haben das Ziel, in der Forschung, wo wir in vielen Fächern schon sehr gut sind, weiter voranzukommen, und die teils unzumutbaren Betreuungsverhältnisse zu verbessern. Die Hoffnung wäre, dass wir mit unseren Forderungen, die inhaltlich schlagend begründet sind, zumindest in einem hohen Maße durchkommen. Die Sorge wäre, dass das nicht funktioniert. Wenn das Budget eingefroren würde, hätten wir massive Probleme, große Studienrichtungen aufrechtzuerhalten. Aber ich glaube, das wird uns nicht ins Haus stehen.

STANDARD: Meint "uns" Uni Wien? Die als größte Uni ein anderes Verhandlungsgewicht hat als kleinere Unis? Rektor Gerald Bast von der Uni für angewandte Kunst sieht bereits "ein Spiel, das dramatisch zu werden beginnt", auch weil Sie schon mehr Geld gefordert haben - bei gleichbleibendem Budget. Sie sind Mathematiker: Wenn dann einer sagt, ich will mehr, heißt das, dass andere weniger kriegen, oder?

Engl: Tatsache ist, wir haben 15 Prozent des Budgets der österreichischen Unis und über 30 Prozent der Studierenden. Das ist ein Missverhältnis. Das heißt nicht, dass es anderen Unis besser geht. Nur, würde der Verteilungskampf so funktionieren, dass man den Kunst-Unis ein bisschen Geld wegnimmt und das der Uni Wien gibt, würde das der Uni Wien nichts nützen, weil das nicht die Dimension ist, die wir brauchen. Natürlich, da hat Bast recht, brauchen wir alle mehr. Um den Status quo zu halten, braucht es zunächst den reinen Inflationsausgleich, das sind schon um die zehn Prozent für ein Dreijahresbudget. Und dann muss es auch darum gehen, Strukturen zu verändern und Stärken zu stärken.

STANDARD: Wie hoch ist für Ihre Uni der akute Budget-Mehrbedarf?

Engl: Um den Status quo aufrechtzuerhalten, bräuchten wir 50, 60 Millionen Euro mehr pro Jahr, das sind 12 bis 14 Prozent unseres Budgets. Diese Zahlen werden im Ministerium inhaltlich eigentlich nicht infrage gestellt, die Frage ist nur die Finanzierbarkeit. Wenn die Regierung auch der Meinung ist, man muss die Studienbedingungen wirklich verbessern und man muss den offenen Hochschulzugang erhalten, was sie ja sagt, ist das alles finanzierbar, wenn sie sich weiter zum Zwei-Prozent-Ziel vom Bruttoinlandsprodukt für höhere Bildung bekennt.

STANDARD:  Das nächste Semester scheint sich schneller zu nähern als die neuen Studierenden. Der Großteil derer, die normalerweise erwartet werden, sind noch nicht angemeldet. Die ÖH befürchtet bereits, dass viele so entnervt sind von den Zuständen an den Unis, dass sie erst gar nicht anfangen.

Engl: Wir sind jetzt in etwa bei 55 Prozent derer, die sich im letzten Jahr angemeldet haben. Es war immer so, dass die große Welle in den letzten zwei Wochen kam. Wir sind vorbereitet. Niemand wird sich nur deswegen nicht inskribieren können, weil der Schalter geschlossen ist. Aber die mediale Werbekampagne war intensiv. Jemand, der sich wirklich ernstlich für ein Studium interessiert, schaut zumindest einmal auf die Homepage der Uni - da steht groß, dass am 5. September Schluss ist. Es kann einige Fälle geben, die die Frist nicht einhalten konnten - für die wird es gesetzliche Kulanzlösungen geben können. Aber im Prinzip ist die gesetzliche Regelung einzuhalten. Wir brauchen ja Planungssicherheit.

STANDARD: Angenommen, ein Verwandter bittet Sie um einen ehrlichen Rat. Von welchem Fach würden Sie ihm/ihr aufgrund der Studienbedingungen an der Uni Wien abraten?

Engl: Ich würde beschreiben, wie die Rahmenbedingungen in einigen Fächern sind, aber deswegen nicht abraten. Ich glaube, man muss eine bewusste Studienentscheidung treffen, und die muss sein: Was interessiert mich persönlich am meisten. Wer hätte vor 20 Jahren geglaubt, dass Sinologie plötzlich ein Studium ist, das in der Wirtschaft stark nachgefragt ist aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Ich habe Mathematik studiert, sehr reine Mathematik, und dann plötzlich Finance - mathematische Finanzwissenschaft - Industriemathematik und Mathematik in der Biologie gemacht, also Dinge, die es zum Teil noch nicht einmal gab, als ich studiert habe. Das ist die Essenz einer Universitätsausbildung. Also: Bitte studieren Sie, was Sie interessiert!

STANDARD: Was ist Universität heute? Schnellspur in den Arbeitsmarkt als Bachelor? Plan B für viele, die woanders nicht hineinkommen? Wie hat sich das verändert?

Engl: Das ist zum Teil reale Beschreibung. Universität soll eine langfristig nutzbare Grundausbildung sein. In einigen Fächern steht sehr wohl eine konkrete Berufsausbildung oder -vorbildung im Vordergrund. Leider ist es so, dass Bachelor-Studienabschlüsse noch nicht voll anerkannt sind. Ich hoffe, das wird sich ändern. Was Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz gesagt hat, war wichtig: Österreich bildet Bachelorabsolventen aus Nicht-EU-Ländern aus, und dann dürfen sie nicht hier arbeiten.

STANDARD: Sollen also Bachelor-Absolventen aus Nicht-EU-Staaten die Rot-Weiß-Rot-Card erhalten?

Engl: Natürlich. Wenn wir uns entscheiden, mit unseren Steuergeldern Personen aus der Türkei oder anderen Ländern, die eben nicht zur EU gehören, auszubilden, dann haben wir in die investiert und sollten froh sein, wenn sie bereit sind, in Österreich ihre Kompetenz einzusetzen. Es ist absurd, dass sie das nicht dürfen. Ich unterstütze diese Forderung sehr. Auch weil sie dazu beiträgt, dass der Bachelor mehr im Vordergrund steht als etwas, das eine gewisse Berufsqualifikation gibt.

STANDARD: Sie haben an der Uni Wien ein paar Fächer, für die Ihnen die Politik Zugangsverfahren gestattet hat. Ihre "Notfälle" sind zum Beispiel Publizistik oder Psychologie. Ist die Zugangsfrage für Sie damit hinreichend geklärt?

Engl: Nein. Sie hängt natürlich mit der Kapazitätsfrage und der kapazitätsorienterten Finanzierung zusammen. Aus einem Modell der Rektoren gemeinsam mit dem Ministerium geht klar hervor, wenn man die derzeitigen Studierendenzahlen und die Verteilung auf die Fächer bis 2020 fortschreibt, braucht Österreichs Uni-System eine Milliarde Euro pro Jahr mehr, um diesen vom Ministerium selbst gebastelten Algorithmen zu genügen. Wenn der Gesetzgeber es nicht schafft, so viel Budget in die Unis zu bringen, dass alle Studierenden, die kommen wollen - und sie können aus ganz Europa kommen, was auch gut ist -, ordentlich studieren können, muss man die Frage stellen, ob man wie in Deutschland Kapazitäten definiert, die finanziert sind, und den Unis die Möglichkeit gibt, zu entscheiden, wer innerhalb dieser Grenzen dieses Fach studieren kann. Wobei man darauf achten muss, dass auch für alle, die studierfähig sind aufgrund ihrer Maturazeugnisse, irgendwo Studienmöglichkeiten vorhanden sind. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 22.8.2012)