Händl Klaus über das "auslösende Bild" für sein Stück: "Es war der Geruch von Aas in einem Nadelwald, darin ein vaterloses Kind, das um sich schlägt, auf der Suche nach dem Vater."

oto: Salzburger Festspiele / Luigi Caputo

STANDARD: Pablo Picasso machte angeblich ein Tänzchen, ehe er zu malen begann. Was bringt Sie in Schreibstimmung?

Händl Klaus: Am Anfang steht der Einfall, der buchstäbliche, der einem in die Glieder schießt. Und dann ist es ein Umgehen mit dieser Ladung. Hinter allem ist letztlich das Nichtwissenwoher, Nichtwissenwohin, das ist mit diesem Stück nicht anders. Ich finde keinen Trost in einem religiösen System, ich bin kein Mensch des Glaubens. Ich werde unerlöst sterben.

STANDARD: Sehnen Sie sich danach, an etwas zu glauben?

Händl: Ich sehne mich nach Beantwortung der Frage. Aber schon das Bild der Schöpfung übersteigt mein Vorstellungsvermögen.

STANDARD: Für dieses Unvorstellbare wird dann der Gottesbegriff verwendet.

Händl: Gott ist ein anderes Wort für die Frage. Aber die Frage bleibt immer Frage und ist nicht Schöpfer. Das Fragenstellen, das Schöpferische, sind halt hilflose Ersatzhandlungen. Nicht einmal die Auslöschung, die uns allen blüht, können wir denken. Ich sehne mich nach dem Ursprung der Quelle und werde nie dahin gelangen, was und wie auch immer ich frage.

STANDARD: Macht Sie das traurig?

Händl: Ja, wahnsinnig. Verzweifelt. Davon handelt auch das Stück Meine Bienen. Eine Schneise. Darum ist es düster. Aber auch lustvoll, lustig und zärtlich. Trost ist, dass man versucht, zueinanderzugelangen, auch wenn das nie ganz gelingen wird.

STANDARD: Ist Schreiben Trost?

Händl: Es liegt etwas Tröstliches darin, sich gemeinsam über diese Fragen zu beugen. Insofern ja. Das Gemeinschaftliche, die Begegnung, die damit verbunden ist, finde ich tröstlich.

STANDARD: Ab wann war Ihnen klar, dass Sie schreiben wollen?

Händl: Ich hatte so ein romantisches Bild davon, lang hab ich nur für mich geschrieben und geglaubt, mit fünfzig wäre ich reif genug und würde die Schublade öffnen. Bis plötzlich die Einladung von der Alten Schmiede und vom Droschl Verlag kam - und von Peter Oswald mit dem Steirischen Herbst. Aber es ist noch heute ein schönes Gefühl, für die Schublade zu schreiben, Sachen, die man keinem zeigt.

STANDARD: Was hatten Sie für die Zeit bis fünfzig geplant?

Händl: Ich wollte Schauspieler sein, ich hatte am Tiroler Landestheater als Theaterkind begonnen und dort eine Art Ersatzfamilie gefunden, und später hab ich tatsächlich davon gelebt. Ich hab das Zusammenspiel mit anderen genossen und diesen handfesten Umgang mit Formen, szenisch und sprachlich. Aber ich bin im Grund verstockt, also unbegabt, und so hat das Spielen aufgehört.

STANDARD: Können Sie sich an Ihr erstes eigenes Stück erinnern?

Händl: Da war ich zehn, während der Skiferien, wir waren bei der Bauernfamilie Grün in Fiß untergebracht, und ich schrieb einen kleinen Bauernschwank mit einem Mordfall im Kuhstall. Der Bauer trat als Hercule Poirot auf.

STANDARD: Es ist irritierend, dass Sie während unseres Gesprächs ständig etwas notieren.

Händl: Es gibt da eine Unterströmung, so eine Art Nebenkanal, auf dem saust dauernd was dahin, assoziativ. Ausgelöst von Reizwörtern, die Sie aussprechen, oder etwas, das ich auf der Straße sehe, sind das winzige Einfälle für alle möglichen Vorhaben.

STANDARD: Wann schreiben Sie nicht?

Händl: Lassen Sie Ihre Fantasie spielen (lacht)! Nein, ich sammle ja bloß.

STANDARD: Anknüpfend an die erste Frage: Welcher Einfall schoss Ihnen für die "Bienen" in die Glieder?

Händl: Es war der Geruch von Aas in einem Nadelwald, darin ein vaterloses Kind, das um sich schlägt, auf der Suche nach dem Vater - das war das auslösende Bild, die Grundbewegung.

STANDARD: Bienen sind in Ihrem Stück Metapher wofür?

Händl: Sie sind Schatten der Figuren, Echo - jeweils als Opfer, als Waffe oder Bote. Als Gesellschaftsmodell kann man sie nicht heranziehen. Es wäre schaurig.

STANDARD: Nordkorea?

Händl: Ja, ein gleichgeschaltetes, selbstausbeutendes System.

STANDARD: Das zu vernichten ja dann fast eine gute Tat wäre?

Händl: Unser Schwarm, den das Kind zuletzt aus dem Wald trägt, wird jedenfalls überleben. (Eine Biene landet auf Händls Teetasse.) Das ist jetzt aber unglaublich. Das nehmen wir als Zeichen!

STANDARD: Und was bedeutet die Schneise: einen Ausweg?

Händl: Sie schafft Einblick ins Dick icht. Eine Narbe.

STANDARD: Wie geht es Ihnen, wenn Sie eines Ihrer Stücke nach Jahren wiedersehen?

Händl: Je nach Inszenierung. Wenn sie schiefgeht, fällt es auf den Text zurück, dann will ich mich verkriechen vor Scham. Deshalb schreibe ich auch so gern für die Oper. Die Umsetzung geschieht in der Musik, der Text verschwindet darin. Das liebe ich.

STANDARD: Ihre Stücke sind, mit oder ohne Musik, Sprachkompositionen, für Schauspieler extrem schwer zu lernen. Denken Sie an die beim Schreiben?

Händl: Sie lösen die Figuren mit aus, ich habe ihre Stimmen im Ohr, sie tragen und ziehen. Ich weiß, dass ich es ihnen schwer mache. Aber eben: in Liebe.

STANDARD: Ist Werktreue bei der Inszenierung Ihrer Stücke wichtig?

Händl: Dieser unselige Begriff wird von Leuten im Mund geführt, die panische Angst vor lebendigem Theater haben, vor dem Unwägbaren, vor dem Umweg, den man ständig gehen muss, um ins Lebendige zu gelangen. Das "Werk" entsteht ja erst dank der Umsetzung, im Augenblick des Spiels, einmalig, unwiederholbar, unwiderruflich. "Werktreue" ist nicht zu haben. Damit landet man in der Versteinerung.

STANDARD: Schreiben Sie aus Glück oder Verzweiflung?

Händl: Aus Sehnsucht.

STANDARD: Vermutlich werden Sie das sehr häufig gefragt, aber: Warum heißen Sie eigentlich Händl Klaus und nicht Klaus Händl?

Händl: Das ist ein Mitbringsel aus der Kindheit, auf dem Land dreht man dir den Namen um. Und weil das erste Buch - ich hab längst in Berlin gelebt - so gesättigt ist von der Tiroler Kindheit, war es vom Händl Klaus. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 21.8.2012)