In dem wöchentlichen Blog "Uni 2020" auf derStandard.at, der immer dienstags erscheinen wird, reflektieren UniversitätslehrerInnen über die österreichischen Universitäten.

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Friedrich Schipper ist Archäologe.

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Die österreichischen Universitäten kommen schon seit Jahren nicht mehr aus den Schlagzeilen heraus. Krise. Permanent. Multikausal. Politisch. Mental. Budgetär. National. Was nun? Was tun? Was wir brauchen, sind Visionen. Und den Mut, sie umzusetzen.

Auf und davon

Greifen wir zum Dudelsack: Dem österreichischen Wissenschaftsnachwuchs wird mittlerweile bereits im Stakkato mitgeteilt, dass man Österreich so schnell wie möglich Richtung Gelobtes Land verlassen soll. Und das sei überall, nur nicht hier. Am besten weg. Besser gestern als morgen. Hast du noch nicht fertig studiert? Wie das? Was heißt, nebenbei Geld verdienen? Wozu brauchst du Geld? Na aber jetzt. Los, los. Auf und davon. Was heißt, Stress? Das ist kein Stress, das ist Mobilität. Akademische Mobilität. Heute da und morgen dort.

Sei froh, dass du einen Job hast. Was willst du? Geld willst du? Gehalt? Honorar? Renumeration? Wofür brauchst du das? Nur die Härtesten kommen durch. Na geh, jetzt im Ernst. Geh komm. Bring Leistung. Was, Prädikat? Ah, Prekariat. Nein, das ist Leistungsdruck. Leistungsdruck bringt Leistung.

Leidenschaft, die Leiden schafft

Wer Wissenschaftler werden will, muss leiden. Bist du leidensfähig? Wissenschaft braucht Leidenschaft, und das schafft Leiden. Sonst wird das nix. Druck und Leiden. So formt man Wissenschaftsnachwuchs. Was? Ah, du bist schon 45? Na ja, sag ich ja - Nachwuchs. Professor bist du ja nicht, also bist du Nachwuchs. Ah, du willst Professor werden. Soso, wie viele "peer-reviewte papers" hamma denn? Aha. Na ja, nicht so viel. Ah, gelehrt hamma. Na, das ist aber schlecht. Die Weltklasse lehrt nicht, sie forscht. Was willst du denn mit den Studenten im Hörsaal? Was? Betreuen willst du sie? Das ist ja rührend. Betreuen. Rüüührend. So wird das nix. Das bringt nix. Nicht lehren, forschen.

Was brauchst du? Ein Forschungsbudget? Na geh. Da musst du Drittmittel lukrieren. Drittmittel lautet das Gebot der Stunde. Sexy Drittmittel. Was heißt, du weißt nicht, wie das geht? Wie man Drittmittel lukriert? Was ist denn los mit dir? Wer keine Drittmittel lukrieren kann, ist kein guter Wissenschaftler. Da bist du nicht Weltklasse. Da musst du dich durchsetzen. So funktioniert die Selektion. So ist das. Universitärer Sozialdarwinismus. Härte. Leiden. Biss. Durchkommen. Nur die Fittesten überleben. Das ist Elite, das ist Exzellenz. Ja, ja, die junge Generation hat's nicht leicht. Ups, jetzt hab ich vergessen, du bist ja schon 45.

Und du? Ah ja, 25. Perfekt. Du hast ja alles noch vor dir. Was meinst du mit Familie? Du bist doch nicht schwanger? Eh nicht. Oder doch? Oje. Und? Willst es auch kriegen? Schon? Na ja. Du musst wissen, was du willst. Das ist ja deine freie Entscheidung. Für die Wissenschaft müsste man halt Opfer bringen. Na, vielleicht wird dann zumindest dein Kind Weltklasse. Obwohl, es gibt ja Frauenquoten. Und einen Uni-Kindergarten haben wir auch. Vielleicht schaffst du's dann doch noch. Das nennt man dann Wiedereinstieg. Dafür gibt's sogar Förderprogramme. Gelt, da wirst du dann gefördert. Obwohl, ob das genderfair ist? Für die Männer?

Fragmentiertes Sittenbild

Dieses lose zusammenhängende, fragmentierte, realitätsverzerrende Sittenbild ist natürlich weder ein umfassender noch ein solider Befund, für die österreichische Universitätslandschaft mitnichten repräsentativ. Eigentlich liegt diese Skizze total daneben, schießt über das Ziel hinaus. Ist zynisch. Wenig konstruktiv. Unnötig. Na ja, lassen wir das.

Uni 2020? Wenn es eine Bundesheerreform 2010 gegeben hat, dann schaffen wir doch auch eine Universitätsreform 2020. Bundesheer und Universitäten scheinen in dieser Republik ohnehin einen politisch vergleichbaren Stellenwert zu haben. Aber hoffentlich endet das nicht mit einem vergleichbar fatalen Ergebnis. Daher sollte man das nicht kommentarlos den politisch Verantwortlichen überlassen. Doch wo anfangen?

Arbeitsplatz Universität. Hm. Wie sieht es denn aus mit der Freiheit der Forschung und Lehre heute? Welche Folgen hat die Verbetriebswirtschaftlichung der Universitäten? Was ist ihre Rolle in Staat und Gesellschaft - heute und in Zukunft, also zunächst mal im Jahr 2020? Wie funktionieren die Entscheidungsprozesse an einer Uni? Man hört so viel von Transparenz. Statt Demokratie nun Transparenz. Sehen tut man sie nicht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie durchsichtig ist.

Wie funktioniert Führung an den heimischen Unis, wie wird Führungspersonal ausgewählt? Wie ist es mit dem Führungsverhalten bestellt und welche Folgen hat Führungsversagen auf oberen, mittleren und unteren Führungsebenen? Wie sieht es mit einer Ausbildung von universitären Führungskräften, von Rektoren, Dekanen oder auch Institutsvorständen aus? Wollen wir das Thema Bossing aufgreifen? Lieber später.

Forschung? Wir müssen einmal ernsthaft darüber sprechen, dass wir praktisch kaum mehr drittmittelunabhängige Forschung haben. Die nationale Forschung ist abhängig vom FWF und EU und ERC und anderen, aber primär ist sie zunächst einmal abhängig vom Antragschreiben. Österreichische Wissenschaftler schreiben derzeit wahrscheinlich mehr Projektanträge als wissenschaftliche Aufsätze. Die werden dann eingereicht, peer-reviewt, abgelehnt, überarbeitet, neu eingereicht, peer-reviewt, abgelehnt, neu erarbeitet, woanders eingereicht, peer-reviewt und so weiter. Nicht nachlassen. Leiden musst du. Nur die Hartnäckigsten kommen durch.

Verhalten und Fehlverhalten in der Wissenschaft sind derzeit ein großes Thema. Es wird aber meist auf Plagiat reduziert. Tatsächlich ist die Palette des Fehlverhaltens breit. Und Fehlverhalten ist das vielleicht schwerstwiegende Problem an den Unis und in der Wissenschaft überhaupt. Der Druck ist enorm, nicht nur der Leistungsdruck. Wollen wir das Thema Mobbing aufgreifen? Lieber später. Oder zumindest so viel: Wahrscheinlich ist Mobbing die häufigste Form des Fehlverhaltens an Unis und hat in der Praxis wahrscheinlich weitaus gravierendere Bedeutung als Plagiat, Fälschung, Betrug und so weiter.

Lehre? Sinkt der Status der Lehre in der wissenschaftlichen Karriere? Wohl ja. Aber welche Folgen hat das für die studentische Ausbildung? Wie verschaffen wir der universitären Lehre wieder einen entsprechenden Stellenwert? Es gibt bereits eine formale und inhaltliche Anpassung der Lehre und der Lehrpläne - nicht an rationale Bedürfnisse, sondern an antizipierte sinkende Lehrbudgets.

Wöchentlich auf derStandard.at

Es gäbe noch so vieles, was hier anzusprechen wäre. Die Frage nach der Effektivität und Effizienz der Strukturen der Universitäten. Was macht so ein Senat heute eigentlich noch? Oder was macht der Unirat? Derzeit feuern Uniräte Rektoren. Die Defizite der Personalstrukturplanung an den Unis wären anzusprechen oder das Thema Behinderte und Barrierefreiheit an den Unis. Und so vieles mehr. Gott sei Dank ist das nur das Editorial des Blogs. Wir haben also noch viel Zeit, alles ausgiebig zu diskutieren. In dem wöchentlichen Blog "Uni 2020" auf derStandard.at, der immer dienstags erscheinen soll, reflektieren UniversitätslehrerInnen fortan über die österreichischen Universitäten.

Nächste Woche: Konrad Paul Liessmann über Freiheit der Forschung und Lehre heute. (Friedrich Schipper, derStandard.at, 16.10.2012)