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Schwere Krawalle zwischen Bergleuten und der Polizei in der Stadt Marikana.

Foto: AP/DAPD

Zu hören sind Schüsse aus automatischen Gewehren, zu sehen ist, wie ein Körper nach dem anderen leblos im Kugelhagel zusammensackt: Die Zuschauer der südafrikanischen Abendnachrichten erlebten am Donnerstag die blutige Eskalation eines Bergarbeiterstreiks in der Nähe der Stadt Marikana mit.

Die Bergarbeiter, die eigentlich bei Lonmin, dem drittgrößten Platin-Hersteller der Welt, beschäftigt sind, hatten Warnungen der Polizei ignoriert, ihren gewaltsamen Protest einzustellen. Unter den Arbeitern waren viele mit Macheten und Stöcken bewaffnet. Nachdem sich die Menge mit Tränengas und Wasserwerfern nicht auseinandertreiben ließ, fielen die Schüsse. Am Ende des Massakers sprachen die südafrikanischen Behörden von 34 Toten und zahlreichen Verletzten.

Südafrika ist außer sich vor Empörung. Polizeieinsätze vor Ende der Apartheid werden debattiert, als weiße Polizisten ohne Zögern auf schwarze Einwohner schossen, um politische Aufstände einzudämmen. Jetzt ist es die schwarz-weiße Polizeimacht des demokratischen Südafrikas, die in einen Arbeitskampf eingreift. Bereits zwei Tage vor dem blutigen Vorfall am Donnerstag waren zehn Menschen - darunter zwei Polizisten - in Marikana durch Macheten und Schüsse ums Leben gekommen. "Was soll die Polizei tun, wenn sie es eindeutig mit Bewaffneten und Kriminellen zu tun hat, die Polizisten ermorden?", reagierte Polizeiminister Nathi Mthetwa auf Vorwürfe übertriebener Polizeibrutalität. Südafrikas Präsident Jacob Zuma kündigte umgehend einen Besuch des Krisenbergwerks an.

Forderung nach mehr Lohn

Dort streiken die Bergarbeiter seit einer Woche. Die Kumpels - die meisten sind Steinbohrer, die den gefährlichsten Job unter Tage leisten - forderten eine Lohnerhöhung von rund 4000 bis 6000 Rand auf 12.000 Rand pro Monat (etwa 1200 Euro). Die Werksbosse drohten mit Entlassung.

Allerdings führte auch ein interner Machtkampf zweier verfeindeter Gewerkschaften zur Eskalation der Lage in der Lonmin-Mine: Die seit 25 Jahren dominante Bergarbeitergewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers) hat nämlich zuletzt Konkurrenz bekommen. Eine neue Gewerkschaft mit dem Namen AMCU (Association of Mineworkers and Construction Union) rekrutiert in den Bergwerken des Plantingürtels im Nordwesten Johannesburgs und argumentiert, sie könne bessere Löhne aushandeln. Zahlreiche Mitglieder der NUM sind daraufhin zur neuen Gewerkschaft übergelaufen. So standen sich in Marikana auch bewaffnete Anhänger der beider Gewerkschaften gegenüber.

Nach dem Blutbad fürchten viele in Südafrika, ausländische Investoren könnten zurückschrecken und die Industrie schrumpfen. Die Marikana-Mine 70 Kilometer nordwestlich von Johannesburg ist Lonmins Hauptwerk. Sie produzierte 2011 rund 694.000 Unzen Platin. Erste Konsequenzen des tragischen Blutbads sind an den Börsen bereits spürbar. Anteile des in London registrierten Unternehmens fielen um fünf Prozent auf ein Vierjahrestief. Damit stehen die Verluste seit dem Beginn der Gewalt auf dem Werksgelände bei 20 Prozent.

Lonmin schließt Werke

Lonmin musste seine südafrikanischen Werke im Zuge des Streikes schließen. Rund zwölf Prozent des weltweiten Platin-Bedarfes wird in den Minen des Unternehmens in Südafrika abgebaut.

Südafrika selbst besitzt rund 80 Prozent der bekannten Platinreserven. Die Anspannung im südafrikanischen Bergbau, ausgelöst durch einen schwächeren Weltmarkt, ist spürbar. Der Platinpreis ist um 39 Prozent gefallen, weil die europäische Nachfrage besonders aus dem Automobilsektor geschrumpft ist. Lonmin erklärte im Juli, das Werk in Marikana werde in den kommenden zwei Jahren seine Produktionsausgaben um die Hälfte drosseln. Das führt zu großer Verunsicherung bei den Bergarbeitern, die bereits vor dem Preisverfall für ihr solides Auskommen kämpfen mussten. (Martina Schwikowski, DER STANDARD, 18.8.2012)