Marcia Mchemmech (li.) lernt von der Oma französische Vokabeln, Annelies Gerold von der Enkelin, was ein Chat ist. Organisiert wird die fröhliche Generationen-WG von Annelies' Tochter Monika Mchemmech.

Foto: Christian Grass

Wenn mehrere Generationen miteinander leben, muss das keine bäuerliche Großfamilie sein. Das zeigt das Beispiel von Annelies Gerold (83), ihrer Tochter Monika Mchemmech (49) und deren Tochter Marcia (17). Pensionistin, Lehrerin und Gymnasiastin leben dank einer gelungenen architektonischen Lösung gemeinsam und doch unter zwei Dächern. Jede der drei Frauen hat Raum für sich allein, schätzt die individuellen Bereiche.

Nach dem Tod ihres Mannes vor acht Jahren sei ihr das Familienhaus "zu groß, viel zu groß" geworden, erzählt Annelies Gerold beim Kaffee am Esstisch ihrer Tochter. Für sie war klar: "Ich bleib da nicht allein. Das Haus, der Garten, das wird mir alles zu viel." Eine chronische Lungenerkrankung machte sich immer stärker bemerkbar, begann die Mobilität der früheren Geschäftsführerin einzuschränken. Sie bot ihrer Tochter Monika Mchemmech an, mit der Familie zu ihr zu ziehen. "Uns war da sehr geholfen, wir haben in einem Wohnblock gewohnt und wollten gerne einen Garten", erzählt die 49-jährige Mittelschullehrerin.

Gemeinsam wurden Umbaupläne gewälzt: Aufstocken oder ein Anbau für die Mutter? Die Lösung hatte Architekt Christian Maier: "Lasst die Mama in ihrem gewohnten Umfeld." Annelies Gerold behielt ein Drittel des Hauses, für die junge Familie plante Maier ein luftiges Holzhaus, das einen Teil des Elternhauses integriert. Jedes der beiden Häuser hat einen eigenen Eingang, über Terrasse und Untergeschoß sind Alt und Jung aber räumlich verbunden. "Jede hat ihre Rückzugsmöglichkeiten", nennt Marcia die wichtigste Voraussetzung für das Miteinander. "Aber keine hat das Gefühl, allein zu sein", ergänzt ihre Mutter.

Eigenständigkeit erhalten

Monika Mchemmech kocht täglich für die Familie, macht für ihre Mutter die Wäsche, erledigt die Einkäufe, fährt sie zum Arzt, wenn es die Zeit erlaubt. "Ich habe aber kein Problem, ein Taxi zu rufen", sagt ihre Mutter. Obwohl sie durch ihre Erkrankung an das Haus gebunden ist, möchte sie sich so lange wie möglich ihre Eigenständigkeit erhalten, nicht zur Last fallen. So kommt für Putzdienste in ihrer kleinen Wohnung eine Mohi-Frau, eine Mitarbeiterin des Mobilen Hilfsdiensts. 51 örtliche Gruppen der "ARGE MOHI" stehen in Vorarlberg zur Verfügung. Die Dienstleistung kostet zwischen neun und 13 Euro die Stunde.

Bei der Körperpflege wird die alte Dame von Schwestern des örtlichen Krankenpflegevereins unterstützt. Die Hauskrankenpflege ist ein Vorarlberger Spezifikum. 66 Ortsvereine mit rund 61.000 Mitgliedern beschäftigen 300 Pflegefachkräfte, sie funktionieren nach dem Solidarprinzip. Im Umgang mit den Betreuerinnen hat Annelies Gerold gelernt: "Die Chemie muss stimmen. Und wenn nicht, muss man das gleich sagen." Etwa dann, "wenn man behandelt wird, als hätte man keinen eigenen Willen".

"Ein Heim wäre nichts für die Oma"

Ihre Oma sei noch unglaublich fit, sagt Marcia voll Bewunderung, "sie interessiert sich für alles Neue". Sie schätze die anregenden Gespräche mit der Großmutter, die Diskussionen. Aber auch, "dass sie mir meine Ruhe lässt, wenn ich von der Schule heimkomme". Im Vergleich zu alten Menschen im Altenheim, die sie durch Ferialjobs kenne, sei jene viel eigenständiger und agiler. "So ein Heim wäre nichts für meine Oma", ist die junge Frau überzeugt.

Annelies Gerold weiß aus eigener, leidvoller Erfahrung, was Altenbetreuung innerhalb der Familie bedeuten kann. Ihre Mutter war zehn Jahre bettlägerig. "Aus dem Bett hat sie die ganze Familie regiert" , ergänzt Tochter Monika. Zu jeder Tages- und Nachtzeit habe die Mutter nach ihr gerufen, erinnert sich Frau Gerold. Damals habe sie den Vorsatz gefasst: "So werde ich nie."

Ängste der Mutter

"Ich muss akzeptieren, dass die beiden ihr eigenes Leben leben möchten, neben mir", sagt Annelies Gerold, und es klingt alles andere als vorwurfsvoll. Manchmal fühle sie sich als Hemmschuh: "Die Monika möchte doch so gerne reisen." Ganz unbegründet seien diese Ängste, beruhigt die Tochter. Sie reise ja, da nehme man die Dienste des Altenheims, des MOHI oder der beiden Brüder in Anspruch. Nicht nur die Mutter habe lernen müssen, dass sie, die Tochter, ab und zu Zeit für sich selbst brauche, sagt Monika Mchemmech, "das war auch für mich ein Lernprozess".

Sie stehe oft sehr unter Zeitdruck, sei angespannt und müde. "Manchmal auch traurig, weil ich eigentlich mehr Zeit mit der Mama verbringen möchte." Neben der vollen Lehrverpflichtung noch Haushalt, Garten, die Bedürfnisse der Tochter. Da frage sie sich schon manchmal: "Und ich, wo bleib eigentlich ich?" Die Antwort der Französischlehrerin ist dann eine kurze Auszeit in Frankreich. (Jutta Berger, DER STANDARD, 17.8.2012)