Psychologin Melanie Holz kritisiert das Burnout-Expertentum im Internet.

Foto: Alpen-Adria-Universität

Standard: Krankenkassen klagen, dass die Burnout-Fälle ansteigen. Arbeiten wir zu viel?

Melanie Holz: Viel zu arbeiten und danach erschöpft zu sein heißt noch lange nicht, dass man im Burnout ist. Für ein Burnout gibt es viele Faktoren: etwa zu wenige Regenerationspausen, ständig unter Zeitdruck zu stehen, fehlende Anerkennung in der Arbeit. Burnout ist ein Prozess. Er beginnt mit emotionaler Erschöpfung. In einer zweiten Phase versucht der Betroffene, weiterhin den gesetzten Ansprüchen gerecht zu werden, und entwickelt oft eine zynische Distanz zum Job. In der letzten Phase stellt sich das Gefühl, nicht mehr genug leisten zu können, und der tatsächliche Leistungsabfall ein. Fachleute sind sich einig, dass es eine Zunahme dieser Fälle gibt. Es kommt aber auch zu Fehldiagnosen, weil es schwierig ist zu differenzieren. Antriebslosigkeit, ein depressive Verstimmung: Das ist noch kein Burnout.

Standard: Wird Burnout, sofern es vorliegt, immer ernst genommen?

Holz: Burnout wird ganz gern unterspielt. Da hört man dann: Gönn dir eine Auszeit, und es wird schon wieder! Aber so simpel ist das nicht für diejenigen, die es wirklich haben. Burnout wird leider zurzeit gern als Overall-Diagnose für alles verwendet, was mit Erschöpfung und Arbeit zu tun hat.

Standard: Durch die Vielzahl der Fälle scheint eine Burnout-Behandlungs- und Prophylaxeindustrie entstanden zu sein. Wie weiß man, was davon geeignet ist?

Holz: Wie bei allen psychischen Problemen sollte man sich von Fachleuten helfen lassen. Im Netz geistern da einige "Experten" herum. Das ist ärgerlich und liegt unter anderem daran, dass die Berufsbezeichnung Trainer oder Coach nicht geschützt ist, ganz im Gegensatz zum Psychotherapeuten. Es gibt aber auch viele Angebote, die nicht unseriös sind. Ob sie helfen, kann man nicht sagen, dazu haben wir zu wenige Erfahrungswerte.

Standard: Gibt es ein probates Mittel, um erst gar nicht in die Situation zu kommen? Wie kann man Stress vermeiden?

Holz: Stress ist ja prinzipiell etwas Gutes. Er hilft uns bei Gefahren, damit wir das Richtige mit der entsprechenden Energie tun. Denken Sie an das Bild vom frühen Menschen und vom Säbelzahntiger: Kämpfen oder Flüchten, damit wurde Stress reguliert. Heute haben wir in der Arbeitswelt ganz andere Stressauslöser - einen nervigen Chef oder aggressive Kunden. Die physiologischen Reaktionen auf diese "Bedrohungen" sind nach wie vor die gleichen. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass der heutige Stress in der Arbeitswelt nur über komplexere Formen der Stressregulierung abgebaut werden kann. Flüchten und Kämpfen ist heute nicht mehr möglich. Dazu kommt, dass wir zu wenige Erholungsphasen haben.

Standard: Chefs, die Säbelzahntiger spielen, werden aber bald ohne Mitarbeiter dastehen ...

Holz: Es kommt zu einem Umdenken. Immer mehr Unternehmen achten auf die Gesundheit der Mitarbeiter. Sie haben erkannt, dass Fehlzeiten Geld kosten und dass Fachkräfte nicht so einfach zu ersetzen sind. Es gibt gute präventive wie auch interventive Ansätze, dem Burnout zu begegnen, leider sind es noch zu wenige, die sich ihrer Einflussmöglichkeiten bewusst sind und sie umsetzen. (Peter Illetschko, STANDARD, 17.8.2012)