Ein Freiluftmuseum am Stadtrand: Die 1989 in Ungarns Hauptstadt demontierten kommunistischen Statuen und Denkmäler erzählen vom Niedergang eines Systems

Es ist offenbar nicht das beliebteste Ausflugsziel Budapests. Während Touristenscharen im Budaer Burgviertel ihr Pflichtprogramm abspulen und auf der Váci Utca von Straßenkeilern in Souveniershops und überteuerte Restaurants gelockt werden, sitze ich alleine im Autobus zum Memento Park. Er hätte schon vor einigen Minuten vom Deák Ferenc tér abfahren sollen, als noch ein weiterer Reisender zusteigt.

Wenige Augenblicke später schaut eine junge Frau stirnrunzelnd in das Innere des Busses. Zwei Personen seien deutlich zu wenig für den Bustransfer, erklärt sie uns. Gegen einen Aufpreis könnten wir uns stattdessen ein Taxi zum Freilichtmuseum am südwestlichen Stadtrand Budapests teilen. Wir stimmen zu.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Das Taxi bringt uns tief in den 22. Bezirk, wo die ungarische Hauptstadt hin zu kleineren Wäldern und Stadtrandsiedlungen ausfranst. Mein Mitreisender, Derick aus Kalifornien, erzählt mir von seinem Interesse für Geschichte und Sprachen. Er fährt in seinen Sommerferien durch Osteuropa und der Memento Park, in den nach dem Niedergang des Kommunismus viele der einschlägigen Statuen der Stadt gebracht wurden, steht als Fixpunkt auf seiner Liste.

Schon als wir aus dem Wagen steigen, blickt uns eine spitzbärtige Büste Lenins an.

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41 weitere Statuen, Ehren-, Mahn- und Denkmäler, die zwischen 1947 und 1988 von den kommunistischen Machthabern auf Budapests Straßen installiert wurden, sind im 1993 eröffneten Memento Park zu sehen. Den Betreibern ist es wichtig, dass die Ausstellung nicht als ironische Abrechnung mit einem tyrannischen System verstanden wird, sondern als Ausdruck öffentlicher Erinnerungskultur. "Der Memento Park handelt nicht vom Kommunismus, sondern vom Fall des Kommunismus", steht im Ausstellungskatalog.

Auch die Figur im Bild wurde 1989 aus dem Budapester Stadtbild - genauer: vom Heldenplatz - entfernt. Mikus Sándor goss sie 1970 nach unbekanntem Vorbild in Bronze, seine Auftraggeber tauften sie "Sowjetisches Heldendenkmal".

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1971 entstand das bis heute weltweit einzige kubistische Abbild von Karl Marx und Friedrich Engels. "Ich wusste, dass ich diesen beiden außergewöhnlichen Männern mit einem traditionellen Zugang nicht gerecht werden konnte. Also entschloss ich mich, die Form mit einer quaderförmigen Struktur ebenso außergewöhnlich zu gestalten", schrieb der Urheber György Segesdi später über seine aus Mauthausener Granit geschlagene Skulptur. Die geistigen Väter des Kommunismus standen fortan neben dem Hauptsitz der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei bei der Margitbrücke am Pester Donauufer.

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Georgi Dimitrow (1882-1949) wurde nicht nur in seiner Heimat Bulgarien verehrt. In vielen sozialistischen Ländern hießen Straßen und Plätze nach dem früheren bulgarischen Ministerpräsidenten. Im Westen blieb der langjährige Vorsitzende der Kommunistischen Internationalen hingegen als einer der Hauptangeklagten im Prozess um den Berliner Reichstagsbrand in Erinnerung. In seinem Schlussplädoyer Ende 1933 sagte er: "Ich verteidige meine eigene kommunistische, revolutionäre Ehre. Ich verteidige meine Ideen, meine kommunistische Gesinnung. Ich verteidige den Sinn und den Inhalt meines Lebens." Dimitrow, der 1927 kurzzeitig die KPÖ angeführt hatte, galt als brillianter Rhetoriker, dem auch die in den Zeugenstand gerufenen NS-Politiker Joseph Goebbels und Hermann Göring nichts anhaben konnten. Er wurde freigesprochen.

Seine Büste war 1952 ein Geschenk der bulgarischen Hauptstadt Sofia an Budapest. Während des Ungarischen Volksaufstands 1956 wurde sie gestürmt und an einem Baum aufgeknüpft. Nach der Niederschlagung der Revolution wurde eine neue Version am Dimitrow-Platz (heute Fővám tér) angebracht. Wohl um das Volk vor weiteren aufständischen Gedanken zu mahnen, fiel sie ein ganzes Stück größer aus als die ursprüngliche Variante.

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Wladimir Iljitsch Uljanow (1870-1924), genannt Lenin, gilt als einer der meistportraitierten Menschen des 20. Jahrhunderts. Der Begründer der Sowjetunion gab dem angewandten russischen Marxismus ein Gesicht und für jede größere Stadt jenseits des Eisernen Vorhangs war es verbindlich, sein Konterfei öffentlich zu präsentieren.

Als KPdSU-Generalsekretär Nikita Chruschtschow 1958 das Budapester Metallwerk Csepel besuchte, kritisierte er die Absenz einer Lenin-Statue. Rasch wurde ein heute unbekannter Bildhauer beauftragt, den Mangel zu beheben. Laut einer modernen Legende hatte die Statue schon bald ein Stück in Fett getunktes Brot in der Hand und ein Schild um den Hals, auf dem zu lesen war: "Hör auf zu grinsen, Lenin, du wirst nicht ewig hier stehen!" Nachsatz in Anspielung an die osmanische Herrschaft über die Ungarn im Mittelalter: "Wir sind nach 150 Jahren auch nicht zu Türken geworden." Tatsächlich verstaubte die Plastik nach 1989 einige Jahre lang in einer dunklen Ecke jener Marzipanfabrik, die die Betriebshallen des Csepel-Werks übernommen hatte.

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Ende der 1960er Jahre sollte in Budapest die Arbeiterbewegung gleichzeitig gewürdigt und aufgestachelt werden. Das vom ungarischen Expressionisten Róbert Berény 1919 entworfene Plakat "Fegyverbe!" ("An die Waffen!") wurde von István Kiss in die dritte Dimension übertragen und beim Stadtwäldchen (Városliget) aufgestellt. Im Volksmund wurde die Bronzestatue spöttisch als "Garderobier" bezeichnet: "Herr, Sie haben Ihren Schal vergessen!"

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1986 entschieden die Kommunisten, Béla Kun (1886-1939) zum Hundertjährigen ein Denkmal zu schenken. Der Führer der kurzlebigen Ungarischen Räterepublik (21. März bis 1. August 1919) streckte am Höhepunkt seiner Herrschaft die Fühler auch nach Westen aus. Am 14. Juni 1919 wollte er im geschrumpften Österreich, noch ohne Staatsvertrag und Verfassung, gemeinsam mit hiesigen Kommunisten die Macht übernehmen. Der Plan wurde frühzeitig aufgedeckt und vereitelt.

Imre Vargas Arbeit, in der ein bronzener Kun schwebende Zivilisten und Soldaten aus Chrom und Kupfer vor sich hertreibt, war nicht unumstritten - zumal laut Kritikern seine historische Rolle das monumentalen Format des Denkmals nicht ausfüllte. Nach der Entmachtung der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei im Jahr 1989 bemalten Oppositionelle Kuns Abbild und setzten ihm einen Clownhut mit Glöckchen auf den Kopf.

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Die Büste Árpád Szakasits' (1888-1965) ist eines der unscheinbareren Stücke im Memento Park. Dennoch bringt es mehr als viele andere den großen politischen Umbruch zum Ausdruck, dem das Museum gewidmet ist.

Während Szakasits, Staatspräsident von 1948 bis 1950, noch in den 1950er Jahren wie viele andere Sozialdemokraten von den neuen kommunistischen Machthabern drangsaliert und eingekerkert wurde, erfolgte in den Jahrzehnten danach (der Zeit des sogenannten "Gulaschkommunismus") allmählich seine Rehabilitation. Dass 1988 an der heutigen Etele Út die Büste eines Sozialdemokraten und keines Kommunisten aufgestellt wurde, kann rückblickend als spürbarer Hinweis auf den bevorstehenden Systemwechsel gewertet werden.

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Während der Rückfahrt sprechen Derick und ich in einer kruden Mischung aus Englisch und Deutsch über sozialistische Ästhetik und die heutige US-Hegemonie bei Filmen, Fernsehserien und Fast-Food-Ketten. Viele Grüße an Derick an dieser Stelle. Und an die Wienerinnen im Szimpla Kert - danke für den Pálinka und die Erinnerung an den Memento Park! (Michael Matzenberger, derStandard.at, 16.8.2012)

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Memento Park

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