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Proteste vor der Fußball- Europameisterschaft verhallten ungehört. Nun folgt die Ernüchterung: Die Pleitewelle bei Baufirmen ist massiv.

Foto: AP/Sokolov

Die Stimmung in Polen ist schlecht. Daran konnte auch die kurze Euphorie während der Fußball-Europameisterschaft nichts ändern. Rund 67 Prozent aller Polen sehen ihr Wirtschaftswunderland inzwischen auf Talfahrt. Selbst die Mitgliedschaft in der EU wird nicht mehr in so rosigen Farben gesehen wie noch vor Jahren, auch wenn mit 56 Prozent Zustimmung immer noch mehr als die Hälfte aller Polen zu den EU-Befürwortern gehören.

Vor wenigen Tagen erhielten viele Kreditnehmer in Polen seltsame Anrufe von ihren Hausbanken. Wenn sie sich nicht mit einer erneuten Bewertung der gekauften Immobilie einverstanden erklärten, müssten sie den in Schweizer Franken aufgenommenen Kredit sofort in voller Höhe zurückbezahlen oder eine zusätzliche teure Versicherungspolice kaufen. Die Währungsturbulenzen rund um den Euro und den Schweizer Franken hätten den Wert ihrer vor zwei bis drei Jahren gekauften Immobilie um ein Drittel sinken lassen. In Polen löste dies einen Schock aus. Selbst Immobilien, die bislang als sichere Kapitalanlage galten, können einen in den Abgrund reißen. Kreditnehmer, die bis dahin regelmäßig und ohne Probleme ihre Raten zahlen konnten, kommen in die Bredouille. Mit einem derartigen Wertverfall ihrer neuen Immobilie hatten sie nicht gerechnet.

Vermeintliches goldenes Los

Hatten viele vor der EM 2012 noch geglaubt, dass die Bauwirtschaft das goldene Los gezogen hätte und beim Straßen- und Stadienbau einen satten Gewinn einstreichen würde, sahen sie sich heftig getäuscht. Da die Ausschreibungen grundsätzlich nur der billigste Anbieter gewann, hatten viele Generalunternehmer die Preise zu knapp kalkuliert, konnten zwar noch das notwendige Baumaterial kaufen, später aber die Subunternehmer nicht mehr bezahlen. Als die Banken merkten, dass die Investitionen nicht solide durchgerechnet waren, strichen sie reihenweise die Zwischenfinanzierung. Am Ende gingen hunderte Firmen pleite, mit einem großen Unternehmen immer auch eine ganze Reihe kleiner und mittlerer Firmen. Die seit Jahresbeginn rund 800 bei Gerichten angemeldeten Insolvenzverfahren großer Firmen ziehen tausende Subunternehmen mit in den Konkurs. In der Baubranche droht ein Verlust von 150.000 Arbeitsstellen.

Viele Firmen werden in der offiziellen Insolvenz-Statistik gar nicht erfasst. Sie verschwinden einfach vom Markt. Das Hauptstatistikamt in Warschau notierte für das Jahr 2010 über 280.000 Firmengründungen. Innerhalb von einem Jahr aber mussten knapp 60.000 Existenzgründer wieder aufgeben.

Da Polen einen großen Teil seines bisherigen Wirtschaftswachstums dem Export in die EU-Länder verdankt, die im Banne der Finanz- und Wirtschaftskrise stehen, fürchten viele Analysten, dass die Finanzkrise nun auch Polen erreichen könnte.

In der wichtigsten Tageszeitung Polens, der Gazeta Wyborcza, warnen fünf Wirtschaftsexperten vor den "mageren Jahren, die Polen bevorstehen", und prognostizieren bereits für Jahresende 2012 einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf bis zu 14 Prozent.

Beschleunigte Reformen

Wird nicht gegengesteuert, warnen Polens Wirtschaftsexperten vor einem Weitergehen der Pleitelawine. Alle müssten nun, wie in den anderen EU-Staaten auch, den Gürtel enger schnallen, heißt es. Den Experten gehen die Strukturreformen in Polen zu langsam voran.

Zudem sei das Land überbürokratisiert. Dies hemme ebenfalls Wachstum und Innovation. Ohne Wachstum gebe es aber keine höheren Gewinne, mit denen wiederum die bisherigen Schulden bezahlt werden könnten. (Gabriele Lesser, DER STANDARD, 13.8.2012)