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Theodor Pangalos haut jetzt ordentlich in die Tasten. Montag muss sein Buch online sein, so hat er es versprochen. Die ultimative Abrechnung, die letzte Wahrheit über Griechenland und die Griechen. Alles kommt auf den Tisch, hier scheint die Sonne.

Pangalos hat in seinem langen Politikerleben schon so viel gequatscht, dass er den Status eines autonomen Hofnarren erlangte, dem die Griechen mit Überdruss, aber nie erlahmenden Interesse zuhören. Über Deutschland als "Riese mit der Kraft eines Monstrums und dem Verstand eines Kindes", über die "faulen Griechen und die fleißigen Türken", über die türkischen Politiker wiederum, - alles "Räuber, Mörder und Vergewaltiger", über seine eigene Partei schließlich, die Regierungspartei Pasok: "Nach 2000 haben wir praktisch in jedem Bereich versagt. Wir haben das Land verwüstet."

Das sagte Pangalos im Jahr 2006, nach der Olympia-Euphorie (2004), aber noch mitten im Kredit- und Konsumrausch der Griechen. Als die Finanz- und Staatskrise aber dann da war, sprach er den einen großen Satz, der die Frage nach Schuld und Verantwortung für die selbstzerstörerische, den Bankrott generierende Korruption der Griechen beantwortet: "Wir haben alle zusammen gegessen." Τα φάγαμε όλοι μαζί. (Ta fagame oli masi).

Der Satz fiel in der Sitzung eines Parlamentsausschusses im September 2010. Pangalos, damals und bis zum Dahinscheiden der Übergangsregierung von Lukas Papademos im April 2012 stellvertretender Ministerpräsident und mit dem ebenso weiten wie wolkigen Aufgabenbereich der Koordinierung der Außen- und Verteidigungspolitik der Regierung betraut, reagierte auf die täglichen Proteste der "Empörten" vor dem Parlament in Athen. "Wer hat all das Geld gegessen?", fragten sie vorwurfsvoll - die Gewerkschafter, Oppositionsanhänger, normale Pasok- und Nea-Dimokratia-Wähler. "Wir alle zusammen", sagt Pangalos: immer nach Vorteilen geschielt, immer ein bisschen bei den Steuern getrickst, immer Politiker gewählt, die den Kinderlein dann einen Job in irgendeiner Behörde verschaffen sollen. Das hört die große Mehrheit im Land nach wie vor gar nicht gern. Aber tief im Innern weiß sie: Genau so war es. Und dafür gibt es jetzt das Pangalos-Buch. Jeder darf mitschreiben.

Crowdsourcing ist das Konzept, mit dem Pangalos wirbt. Auf der Webseite, die er für sein Buch eingerichtet hat - es trägt natürlich den Titel: "Wir haben alle zusammen gegessen" -, sollen die Griechen ihre Geschichten über die kollektive Plünderung des Staats beisteuern. Sein Buch will er dann ständig überarbeiten und die Erfahrungen/Einsichten seiner Mitgriechen berücksichtigen. Es werde damit dem "Volk ermöglichen, die politische Situation des Landes zu begreifen", so erklärt Pangalos auf der Webseite, und vor allem den jungen Leuten als ein Mechanismus zum Verständnis des Landes dienen.

Pangalos' Schlüsselbegriff ist πολιτικής πελατείας (politikis pelateias), was man als "Patronage-Politik" übersetzen könnte, als ein System, in dem der Wähler seine Stimme für eine erwartete Begünstigung gibt, und der Politiker eine "Schutzfunktion" für seine Wähler im Wahlkreis übernimmt. Sein Buch über das große Fressen hat Pangalos um vier Fragen gruppiert, die man anklicken kann und die später wohl die Kapitel seines Buches darstellen: Wie viel? - Wann? - Wie? - Wer? In der Mitte steht das Schlagwort "Schuld" (chreos), also die Finanzschuld. Das Buch werde "genau definierte Beispiele für Verschwendung und schlechtes Management" beinhalten, verspricht Pangalos. Startschuss: Montag, 13. August. Greek only.

Die bisher geposteten Geschichten von Bürgern sind, so versichern helfende griechische Hände, mitunter ein bisschen verworren gehalten. In einem Beitrag klagt ein Mediziner über Konkurrenten, die mit von den Eltern gekauften Doktortiteln aus Rumänien und Bulgarien Karriere in Krankenhäusern und Universitäten gemacht haben, während der Autor seine Zeit mit der Vorbereitung auf Prüfungen "vergeudete" - "Ich war wirklich dumm", schreibt der Arzt ironisch. Ein anderer Beitrag ist ebenfalls mehr im Stil der Klagemauer als der Selbstbezichtigung gehalten: Mitstudent an einer agrarwissenschaftlichen Universität segelt wie von selbst durch alle Seminare und erhält - von einem Politiker arrangiert - noch vor dem Universitätsabschluss schon Lehraufträge.

Pangalos wird das schon in sein griechisches Kolossalgemälde einzufügen wissen. Der Enkel des griechischen Kurzzeit-Diktators Pangalos (1925/26), dessen Vornamen er auch noch bekam, engagierte sich in seiner Jugendzeit natürlicherweise im linken pazifistischen Spektrum. Die Junta ließ ihm 1968 in Anerkennung seines Widerstands die griechische Staatsbürgerschaft abnehmen. Nach Jahren in der kommunistischen Partei kam er mit der Andreas-Papandreou-Welle 1981 ins Parlament, war einige Male Staatssekretär und blamierte Griechenland als Außenminister mit der Aufnahme und anschließenden Abschiebung des PKK-Führers Abdullah Öcalan 1999 (Öcalan wurde dann in Kenia entführt, Pangalos trat zurück). Bei den Parlamentswahlen im Mai und Juni dieses Jahres trat Pangalos nicht mehr an. "Ab einem gewissen Punkt muss die Beziehung zwischen dir selbst und dem Volk enden", sagte er zur Begründung, "und nur du selbst kannst es beenden, andernfalls wählen dich die Leute vielleicht weiter aus Gewohnheit". Nächste Woche wird er 74. (Markus Bernath, derStandard.at, 10.8.2012)