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Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - Eine gewisse Distanz zu "zu österreichischen" Einrichtungen ist Helga Nowotny angesichts ihres "eher mühsamen Weges" durch das heimische Universitätssystems nicht zu verdenken. Dennoch gilt sie als "Grande Dame der österreichischen Wissenschaft" - und angesichts ihrer beachtlichen internationalen Karriere, die sie an die Spitze des European Research Council (ERC) geführt hat, mittlerweile wohl auch als "Grand Dame der europäischen Forschung". Am 9. August feiert die Wissenschaftsforscherin ihren 75. Geburtstag.

Werdegang

Wissenschaftsforschung betreibt Nowotny aus dem Blickwinkel einer Soziologin. Dabei hatte sich die am 9. August 1937 in Wien Geborene ursprünglich den Rechtswissenschaften zugewandt. Die Soziologie schreckte sie noch ab, als sie im letzten Jahr des Gymnasiums zur Studienorientierung Vorlesungen an der Universität Wien besuchte. So absolvierte sie ein Jus-Studium und wurde nach dem Doktorat 1959 und der Gerichtspraxis Assistentin am Institut für Kriminologie.

Doch dann ging Nowotny mit ihrem damaligen Mann und ihrer kleinen Tochter nach New York und suchte eine neue berufliche Betätigung. Als sie den aus Österreich vertriebenen Soziologen Paul Lazarsfeld traf, der Professor an der Columbia University war, beschloss sie über Nacht, bei ihm ein Ph.D.-Studium in Soziologie zu absolvieren, das sie 1969 abschloss. Einer ihrer Lehrer an der Columbia University, Robert K. Merton, der die Wissenschaftssoziologie entscheidend mitprägte, brachte sie dazu, die Forschung zu ihrem Forschungsgegenstand zu machen - sie wandte sich den Bereichen Wissenschaftsforschung und -theorie zu. Diese boten mit heißen Themen wie dem Vietnam-Krieg oder dem Sputnik-Schock ein brisantes Betätigungsfeld.

Rückkehr mit Hindernissen

Zurück in Wien arbeitete Nowotny am Institut für Höhere Studien (IHS), wo sie von 1970 bis 1972 die Soziologie-Abteilung leitete. Nach einem Gastaufenthalt am King's College in Cambridge (Großbritannien) wurde die Wissenschafterin 1974 Gründungsdirektorin des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien, eine Funktion, die sie bis 1987 innehatte.

Wie mühsam österreichische Hochschuleinrichtungen sein können, zeigt Nowotnys Weg zur Lehrbefugnis: Zuerst musste sie sich mangels Unterstützung in Österreich an der Universität Bielefeld habilitieren (1980). Doch dies wurde in Österreich nicht anerkannt und so musste sie sich in Wien 1982 ein zweites Mal habilitieren, "unter Bedingungen, die eine durchaus komische Seite hatten", wie sie sich heute erinnert. In den folgenden Jahren war die Soziologin als Dozentin an der Uni Wien tätig, ehe sie 1987 zur Ordinaria für Wissenschaftstheorie und -forschung sowie Vorstand des neu gegründeten gleichnamigen Instituts an der Uni Wien wurde.

1996 folgte der Ruf der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich, wo man Nowotny als Professorin für Wissenschaftsphilosophie und -forschung wollte. Diesen Lehrstuhl hatte die Soziologin bis zu ihrer Emeritierung 2002 inne, sie leitete von 1998 an auch das "Collegium Helveticum" der ETH Zürich.

Internationale Anerkennung

Nowotny hat zahlreiche Gastprofessuren und Fellowships erhalten, wurde im ersten Jahr des Wissenschaftskollegs zu Berlin als Fellow berufen und war als Permanent Fellow am Aufbau des Collegium Budapest beteiligt. Darüber hinaus hat sie in ihrer akademischen Karriere zahlreiche Funktionen bekleidet. So war sie u.a. sieben Jahre lang Vorsitzende des sozialwissenschaftlichen Komitees der European Science Foundation, war von 2001 bis 2005 Vorsitzende des European Research Advisory Board (EURAB), dem höchsten Beratungsgremium der EU-Kommission in Sachen Forschung, und wurde Ende 2005 Vizepräsidentin des neugeschaffenen ERC. Seit 2010 ist sie Präsidentin dieser Fördereinrichtung, mit der die EU exzellente Grundlagenforschung fördert. Kein Wunder, dass sie die britische Tageszeitung "Financial Times" Ende vergangenen Jahres zu einer der einflussreichsten Frauen des Jahres im Bereich "Wissenschaft und Technologie" gekürt hat.

Ein zentrales Thema Nowotnys war immer das Verhältnis von Gesellschaft und Wissenschaft. Von der Zwentendorf-Diskussion an beobachtete und analysierte sie in zahlreichen Büchern und noch viel mehr Fachartikeln Konflikte, Fronten und Entwicklungen in diesem Bereich, untersuchte, wie Wissen an die Öffentlichkeit kommt, wie Politik und Geld das Wissenschaftssystem beeinflussen und sich neue Entwicklungen ihren Weg bahnen. Auf transdisziplinäre Arbeit legte sie dabei immer großen Wert und kooperierte eng mit Wissenschaftern der jeweiligen Fachgebiete. (APA, derStandard.at, 8. 8. 2012)