Ivo Dimchev betätigt sich bei Impulstanz als Spontanmusiker und lockt sein Publikum auch mit Geld. 

Foto: Ivo Dimchev

Wien - Ivo Dimchev ist ein Monster. Aber eines, das im Sinn des lateinischen Wortes monstrare etwas zeigt. Das hat der bulgarische Choreograf bei der Uraufführung von The P Project im Rahmen von Impulstanz im Kasino am Schwarzenbergplatz wieder getan.

Darin sitzt Dimchev an einem elektrischen Klavier. Er bietet jedem aus dem Publikum 20 Euro bar auf die Hand, der auf der Bühne etwas in einen der beiden dort aufgestellten Computer schreibt, das Dimchev zeitgleich auf einem Monitor abliest, vertont und singt. In der zweiten von vier Runden werden Freiwillige eingeladen, einen Stepptanz vorzuführen - auch für 20 Euro. Danach soll sich ein Paar küssen, aber zuvor bitte sehr den Oberkörper freimachen. Das bringt 50 Euro pro Küsser. Bei Runde vier heißt es dann: ganz nackt, küssen und einen Geschlechtsverkehr zumindest simulieren. Dafür gibt es ein Honorar von 200 Euro pro Teilnehmer.

Im vollbesetzten Kasino Sonntag nachts um halb zwölf war es schwül. Also beste Bedingungen dafür, die Verhältnisse zwischen Exhibitionismus und Voyeurismus auf der einen und Performance und Prostitution auf der anderen Seite auszuleuchten. Das Honorar für das Schreiben blieb gleich, der Obulus für eine Rampensauerei hingegen kletterte.

Für die vielen Tanzstudenten aus dem Impulstanz-Workshop-Festival im Arsenal im Publikum war das Angebot verlockend. Es hat etwas von einer Mutprobe. Und es ist schon sexy, bei einem Experiment des renommierten Ivo Dimchev aufzutreten. Der hatte jedenfalls keine Besetzungsprobleme. Fazit des Ablaufs: Die drei jungen Stepper konnten nicht steppen und waren für geringes Geld bloß peinlich. Bei den Küssern kam es zu Verhandlungen. Zwei männliche Anwärter auf eine weibliche Kandidatin. Dasselbe bei Runde vier.

Da blieb es übrigens bei der Simulation. Es kam allerdings auch zu keiner Persiflage, mit der die dann Bezahlten bewiesen hätten, dass sie über der Aufgabe stehen, ihr Intimstes öffentlich preiszugeben. Dimchev konnte sich angesichts der vorgeführten Bodenakrobatik die Bemerkung nicht verkneifen: "Lustig zu sehen, wie Heteros das machen." Das pornografisierende Medium in dieser Performance war das angenommene Geld in den Runden drei und vier. Souverän wäre es gewesen, den Lohn für die an sich mutige Exhibition zurückzuweisen.

So hat Dimchev auf jeden Fall Zündstoff für Diskussionen geliefert. Sein Auftritt bei der nachts um ein Uhr folgenden Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Künstler Franz West war milder. Da verwandelte Dimchev sein provokantes Solo I-ON in eine Performance, die einen wichtigen Aspekt in Wests Werk zeigte: Seine Skulpturen sollen auch benutzt, nicht nur " konserviert" werden. Denn nur ihre Vergänglichkeit entzieht Kunstwerke der Spekulation mit ihrem Geldwert.

Wirbelndes Mikrofon

An dem dreistündigen West-Tribute nahmen auch noch andere Künstler teil. Darunter Cecilia Bengolea mit einer Persiflage von Sang und Tanz in der Nummer Wuthering Heights der britischen Sängerin Kate Bush. Oder Doris Uhlich, die den Pudertanz aus ihrem Solostück Mehr als genug zeigte. Chris Haring und Andreas Berger entlockten einem im Kreis gewirbelten Mikrofon ein wuchtiges, geisterhaftes Musikstück, und der Elektroniker Philipp Quehenberger spielte eine kraftvolle Nummer.

Das Wiener Friseur-Original Erich Joham ließ, begleitet von Jazzer Freddie Jelinek, riesige Seifenblasen auf der Bühne tanzen. Benoît Lachambre und Clara Furey improvisierten ein High-Heels-Duett. Mark Tompkins coverte die Talking Heads: "Heaven is a place where nothing ever happens." Und der Violinist Hiro Kurosaki spielte unter der Regie von Thomas Jelinek - keinen Ton. Es war ein würdiger Abschied, ganz ohne Kitsch. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 7.8.2012)