Selbstporträt als obsessiver Theatermensch: Philipp Hochmair in "Der Glanz des Tages".

foto: filmfestival locarno

Beim Festival in Locarno prägen vorerst persönliche Filme den Wettbewerb.

Eines Tages steht er einfach vor der Tür: ein Onkel, von dem der Schauspieler Philipp Hochmair bislang nichts wusste. Bühnenerfahrung hat der grauhaarige Schnauzbartträger auch, als Bärenkämpfer und Messerwerfer hat Walter Saabel früher beim Zirkus gearbeitet. Es liegt wohl an dieser Gemeinsamkeit, dass die beiden schnell ein zwangloses Miteinander finden. Philipp, der die Kunstglatze für seinen Woyzeck-Part am Hamburger Thalia-Theater anfangs auch privat trägt, scheint abgesehen von seinen Bühnenfiguren ohnehin ein recht einzelgängerisches Dasein zu führen.

Wo die Kunstfigur beginnt und der real existierende Mensch aufhört, das ist in Der Glanz des Tages von Tizza Covi und Rainer Frimmel (La Pivellina) in Wirklichkeit jedoch nie klar. Der Film, der im Wettbewerb von Locarno uraufgeführt wurde, bewegt sich in guter österreichischer Tradition zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Hochmair, aufmerksame Theaterbesucher wissen dies, ist tatsächlich ein gefragter Bühnenschauspieler und verkörpert sich hier gewissermaßen selbst: ein Selbstporträt als obsessiver Theatermensch, für den seine Rollen das wahre Leben sind.

Der von Covi und Frimmel erzählerisch fein gewobene Film kreist aber auch in einem grundsätzlicheren Sinn um Identität, Freiheit und die Möglichkeit, sich selbst zu entwerfen. So bildet der bodenständige Walter, die eigentliche Hauptfigur, einen Gegenpol zum Schauspieler, der bis zu acht Figuren auf einmal in sich herumträgt. Der alte Tierbändiger will sich nach Jahrzehnten mit seinem Bruder versöhnen, findet dann aber als Dauergast seines Neffen in dessen Nachbarschaft neue Aufgaben. Eine moldawische Flüchtlingsfamilie kann Walters selbstlose Ader gut gebrauchen.

Die Stärke von Der Glanz des Tages liegt wie bei früheren Filmen des Regiepaares in genauer Beobachtungsgabe und Liebe zu marginalen Figuren und Schauplätzen. Wien erscheint als Sammelsurium lebensnaher Existenzen, eine Bühne, die in Kontrast zu jenen steht, auf denen Hochmair reüssiert. Eine Gegenüberstellung, die der Film zum Glück nicht überstrapaziert, aber für ironische Zwischentöne nutzt.

Als Beispiel eines persönlichen Kinos fügt sich Der Glanz des Tages stimmig in den diesjährigen Wettbewerb, in dem die stärksten Arbeiten von eigenbrötlerischen Autoren sind. Festivaldirektor Olivier Père lässt eine erstaunlich große formale Bandbreite zu.

The Last Time I Saw Macao (A última vez que vi Macau) von den Portugiesen João Pedro Rodrigues und João Rui Guerra da Mata erscheint etwa wie eine Hommage an den gerade verstorbenen Film-Essayisten Chris Marker. Einen Mann ereilt aus Macao der Hilferuf seiner Ex-Geliebten Candy, eines Transvestiten, der in eine mysteriöse Mordserie verstrickt ist. Einmal angekommen, gelangt der "Retter" jedoch immer zu spät zu den Treffen. Der Lauf der Dinge ist nicht zu verändern.

Rodrigues und da Mata belassen diese Noir-Erzählung im Off der Bilder. Im Grunde ist sie nur der Vorwand für ein Porträt der sich rasant verändernden südostasiatischen Stadt, ehemals portugiesische Kolonie, die an China zurückgefallen ist. Die nebelverhangenen Bilder der neonbeleuchteten Metropole vermag der Erzähler mit seinen Erinnerungen nicht in Deckung zu bringen: Die Stadt wird zum Sinnbild eines unwiderruflichen Verlusts - ein typischer Fall von "saudade", der portugiesischen Spielart der Nostalgie.

Gleich um The End of Time geht es beim schweizerisch-kanadischen Dokumentaristen Peter Mettler, der zehn Jahre nach Gambling, Gods and LSD wieder einen weiten assoziativen Bogen spannt, um Zeitmodelle und -begriffe zu erforschen. Den Anfang macht der Teilchenbeschleuniger Cern, von trägen Lavaströmen führt die Reise zu leeren Industriegebäuden in Detroit, zu Hindu-Ritualen und einem persönlichen Finale, in dem Mettler filmische Zeitgrenzen aufhebt. Die besondere Fähigkeit des Regisseurs lag schon immer in der Evokation von Bildern, die Begriffe in menschlichen Anstrengungen anschaulich machen. Das Mysterium Zeit erweist sich in diesem besonderen Fall als eher flüchtige Größe - aber das passt ja auch irgendwie. (Dominik Kamalzadeh aus Locarno, DER STANDARD, 7.8.2012)