Tristan Vogt und Joachim Torbahn (v. li.) holten für ihre Interpretation von Raimunds "Der Bauer als Millionär" auch Lutz Großmann (re.) zur Verstärkung nach Salzburg.

Foto: Silvia Lelli

Mit den Thalia Kompagnons Tristan Vogt und Joachim Torbahn sprach Andrea Schurian.

Salzburg - Seit Jahren mischen der diplomierte bildende Künstler Joachim Torbahn und der Soziologe und Literaturwissenschafter Tristan Vogt Theaterfestivals mit ihren Puppen auf, unter anderem auch die Wiener Festwochen und vor ein paar Jahren die Eröffnungssause der Salzburger Festspiele. Nun sind die Thalia Kompagnons mir ihrer "großen Illusionserzeugungsmaschinerie" (Vogt) im Hauptprogramm der Festspiele gelandet. Mit einem für ihre Verhältnisse großen Team - zur Verstärkung haben sie sich zwei Puppenspieler von der Berliner Ernst-Busch-Schule und zwei Musiker geholt - zeigen sie auf Einladung der Salzburger Festspiele ihre Interpretation von Ferdinand Raimunds Zaubermärchen Das Mädchen aus der Feenwelt oder der Bauer als Millionär.

STANDARD: Warum ausgerechnet diesen sehr österreichischen Dichter, der noch dazu sehr oft Gefahr läuft, als lieblich missinterpretiert zu werden?

Vogt: Uns ist diese Problematik bewusst. Wobei fraglich ist, wie viele Österreicher Raimund wirklich kennen - oder nur seinen Zitatenschatz. Wir wissen natürlich auch, dass es vermessen wäre, ihn auf Österreichisch zu spielen. Also haben wir in Nürnberg den Dialektdramatiker Fitzgerald Kusz gebeten, die Bauernpassagen ins Fränkische zu übersetzen. Und wie im Kasperltheater ist auch was dazugemogelt, aber 80 Prozent sind original.

Torbahn: Man würde viel verlieren, würde man nur das Folkloristische sehen, auch wenn Raimund in diese Ecke gestellt wird. Doch wenn man es genau liest, ist es ein Autor, der sehr unter seiner Zeit gelitten hat. Schauspieldirektor Sven-Eric Bechtolf sagte uns, wir könnten machen, was wir wollten. Aber wenn er sich was wünschen dürfe, wäre es Raimund, die dunkle Seite der Romantik. Wir taten uns zunächst schwer, einen Zugang zu finden. Aber Raimunds Doppelbödigkeit, das Erzeugen von Welten hat uns fasziniert.

Vogt: Wir schauen hin auf einen melancholischen, verrückten Barockdichter, der Abgründe in seinen Stücken angelegt, aber gleich wieder zugekleistert hat. Damit die oben in Saus und Braus leben können, müssen die unten möglichst arm bleiben. Und werden dann auch noch manipuliert von einem sehr desolaten Häuflein an Geistern, dem Blödsinn etwa, der Faulheit. Oder der Zufriedenheit: Sie beginnt, sobald sie ihr Tal verlässt, zu missionieren.

Der Fischer darf seinen Palast nicht behalten, das Lottchen darf ihn nicht heiraten, solange er den Palast hat. Die Zufriedenheit ist manipulativ - und zutiefst unzufrieden, während der Hass und der Neid zufrieden sind, denn die Welt ist so, wie sie es sich vorstellen: schlecht!

STANDARD: Wie lange haben Sie an dem Stück gearbeitet?

Vogt: Wir haben schon Kafkas Schloss (Premiere bei den Salzburger Festspielen: 19. 8., Anm.) adaptiert, Shakespeares Macbeth, Die Zauberflöte: lauter erstklassige Autoren! Aber bei keinem mussten wir so kämpfen wie bei Raimund. Man kann seine Verrücktheit nicht einfach wiederholen, sondern man muss einen heutigen Zugang finden. Uns geht es jedenfalls weder um Musealisierung noch darum, ein Denkmal vom Sockel zu stoßen.

STANDARD: Warum haben Sie sich für Puppentheater entschieden?

Vogt: Man kann mit wenig finanziellem und technischem Aufwand viele Dinge entwerfen. Was in einem großen Haus eine Bauprobe ist, hat bei uns schon Originalmaße. Und mich drängt es nicht selber auf die Bühne. Natürlich braucht man Bühnenpräsenz, aber es geht nicht darum, den eigenen Körper in den Mittelpunkt zu stellen.

Torbahn: Ein großer Reiz ist die Verabredung, die man mit den Zuschauern trifft: Totes Material wird zum Leben erweckt. Das ist ein zauberhafter Akt, der auch für Erwachsene schön ist. Und wir haben eine offene Spielweise: Man sieht immer, wie die Illusion erzeugt wird. Der Reiz ist, sich auf diese Illusion einzulassen, auch wenn man eben sieht, dass sie gemacht ist.

Vogt: Manchmal ist es auch verlockend, in einem Guckkasten zu spielen, allerdings nicht bei Raimund. Bei ihm herrscht eine Schockdramaturgie, wie man von einem ins andere und aus dem Nichts ins Nichts zurückfällt. Wie Welten aufgebaut werden und wieder kraft eines Wortes verschwinden, lässt sich hier gut zeigen, da nutzen wir unseren offenen Bühnenraum.

STANDARD: Und welchen Einfluss haben die Puppen auf die Bearbeitung?

Vogt: Man kann mit Puppen kein normales Schauspiel aufführen, sie fordern einen radikal anderen Zugang. Man muss sehen: Was passiert mit dem Text durch die Puppen? Was passiert mit den Puppen durch den Text? Wir wollen nicht, wie im konventionellen Marionettentheater, Menschen nachbilden und eine Art verkleinertes Menschentheater machen. Das hätte Modelleisenbahncharakter.

STANDARD: Anders als Regisseure mit Schauspielern müssen Sie mit den Puppen nicht argumentieren. Sie sind allmächtig, die Puppen als Ihre Geschöpfe tun, was Sie wollen.

Torbahn: Stimmt, wir können unsere Darsteller der Inszenierung anpassen. Aber wir sind auch Opfer der Puppen! Es gibt eine Phase, wo man mit ihnen einfach nur spielt, weil man sie kennenlernen und herausfinden muss, was sie können. Die Puppe bestimmt einen dann auch. Es ist nicht so, dass man der Schöpfer ist und die Puppen machen, was man will. Sondern man muss auch schauen, was die Puppen brauchen, und das zulassen.

Voss: Es ist auch kompliziert, weil die Puppen sehr stark durch die Dramaturgie und die Bilder des Stückes bestimmt sind. Sie entwickeln sich parallel zum Stück. Und man fragt sich, was ist zuerst: Henne oder Ei. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 7.8.2012)