Karl Ferdinand Kratzl als mysteriöser Conferencier.

Foto: Herrenseetheater

Litschau/NÖ - Ein Schuss zerreißt die Gespräche der Besucher im Foy er; schwarze Vorhänge öffnen sich, Maskierte trommeln furchterregend an die Scheiben. Passiert es hier in Litschau, in Niederösterreich, unser aller Ende? Terror? Amok? Oder darf man lachen? Laut Programm soll ja Komödie gespielt werden: "Die letzten Tage der Menschlichkeit". Das klingt nach Karl Kraus, dem großen Sprachskeptiker und gnadenlosen Entlarver menschlicher Verhaltensweisen. Ist es auch, im Grunde.

Die Autoren Christian Qualtinger und Zeno Stanek haben die Tra gödie adaptiert und ins Heute übertragen: "Krise", Banker, Manager sind allgegenwärtig, auch Politiker, eh scho wissen; dazu aufgeblasener Haudrauf-Journalismus, der Angst schürt und zeitgleich Feelgood-Stimmung mit possierlichen Haserln macht. Wie kann also hart am Jetzt entlangfahrendes Theater für tagespolitikgeplagte Menschen funktionieren, die nicht mehr wissen, ob sie den Kopf schütteln, lachen oder empört sein sollen - indem Phrasen und Klischees kommentarlos zitiert werden und sich so gegen ihre Urheber richten wie auch bei Kraus.

Das Theater Brauhaus rund um Zeno Stanek (Regie und Produktion) hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen neue Formen von Unmenschlichkeit vorzugehen. Mit "neutralen Informationen" bekannter NGOs, mit viel Fantasie und komischen Einlagen gelingt eine kurzweilig-atemlose Premiere.

Beim Herrenseetheater leitet die neue Figur des Conferenciers (Karl Ferdinand Kratzl) erhaben und geheimnisvoll durch die schnell wechselnden Szenen. Mit kuriosen, bitterbösen Umfragen spannt er thematische Bögen. Wie ein überirdischer Zirkusdirektor dirigiert er die Miseren der Menschen, die zwischen täglichen Problemen und gesellschaftlichen Konflikten scheitern. Die Zuseher sitzen einander gegenüber und beschauen den Abgesang auf dem Laufsteg, auf dem drei Frauen (Elke Hartmann, Julia Kronenberg, Karin Verdorfer) und drei Männer (Klaus Huhle, Rainer Stelzig, Christian Strasser) mit vollen Einkaufswagerln durch die Zustände rasen, in denen wir leben.

Die eine macht beim gutmenschlichen "Nachhaltigkeitsrennen" nicht mehr mit und zerbricht an der Scheinheiligkeit. Der Lehrer alter Schule referiert über die Menschlichkeit und endet im Animalischen. Der Bundeskanzler vergibt gewisse Posten, ist doch "part of the game". Begleitet wird die Szenenfolge von einer Schar einheimischer Komparsen, aus der der Charme einer älteren Dame heraussticht. Sie ist die Menschlichkeit, die uns ihr familiäres Apfelstrudelrezept (ein Schuss Essig) verrät und am Ende zu Mahlers Zweiter in einen Sarg steigen muss.  (Sebastian Gilli, DER STANDARD, 4./5.8.2012)