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Foto: AP/JAN BAUER

Zwei Katzen sitzen in der Küche, als wäre das eine Küche wie überall, und man versichert mir, Tiere seien herzlich willkommen! Mit dem Tee gehe ich zurück in das Zimmer: Fee, verkünde ich, Fee, nächstes Mal komme ich mit dem Hund! Da dreht sie den Kopf zu mir - und lächelt.

Hoffentlich benimmt sich der Hund, denke ich noch beim Betreten des Gebäudes, schon rollt ein Mann in einem Rollstuhl beherzt auf uns zu. Kein großes, aber ein schwieriges Tier!, und mit einem entschuldigenden Lächeln ziehe ich den Hund weiter. Ich bin auch später noch da!, ruft der Rollstuhlfahrer. Ohne Zwischenfälle könnten wir es bis ins Zimmer Nummer sieben schaffen, stelle ich, aus dem Lift gestiegen, fest. Am Fensterbrett entdecke ich eine der Katzen, nur träge hebt sie den Kopf - ein Hund kann einer Hospizkatze nichts anhaben. Der schnuppert in die Luft, ich zerre ihn weg und klopfe an der angelehnten Tür, und jetzt riskiere ich es: Ich lasse den Hund los. Er stürmt an Fees Bett, und ich sehe: Das zweite ist leer. Der Hund springt zu Fee hoch, außer sich vor Freude. Hallo Höllenhund, sagt sie, und blickt mich dabei an. Ich küsse sie auf die Wange, so dünn wie Luftpostpapier die Haut. Wie geht es dir?, frage ich, ich frage nicht: Wo ist die Frau? Mehr so als lala, antwortet Fee und in Richtung Hund: Aber jetzt, wo ihr da seid, geht's mir schon besser. Ich habe ihm was aufgehoben, und Fee zeigt auf den Teller. Einen Besucherstuhl ziehe ich heran, hebe den Hund auf meine Knie, reiche Fee ein Schnitzelstück, und schon ist der Hund mehr oder minder - eher mehr - auf dem Krankenbett, und mit den Augen eines Kindes schaut ihm Fee beim Verschlingen des Schnitzels zu.

Begeistert leckt er ihre Hände ab, sie freut sich an der nassen Zunge, als wäre das der Himmel auf Erden, und ich verstehe das Elementare von Berührung. Der Hund, jetzt das gesamte Schnitzel in seinem Bauch, visiert das Plüscheichhörnchen auf dem Ablagebrett an. Das gehört nicht mir, schüttelt Fee den Kopf. Wem gehört es denn? - frage ich nicht. Stundenlang hat die Frau reglos am Bett gesessen, beide Hände gegen die Ohren gepresst, als wollte sie Schreckliches nicht hören.

Das Eichhörnchen ist geblieben, es wird nichts mehr sammeln. Deine Hände, wie kalt sie sind!, ich streiche über Fees, so angeschwollen, denke ich. Und will das nicht wissen, was ich weiß. Ich gehe zum Schrank, hole eine Wolldecke heraus, breite das Orange über Fee und unter dem Hund aus. Magst du etwas trinken?, Fee nickt, ich stehe auf, schärfe dem Hund ein, sich nicht von der Stelle zu bewegen, und nehme den leeren Schnabelbecher. Ein Gefäß, in dem Kindsein aufgehoben ist, denke ich und gehe aus dem Zimmer. Grün leuchtet das Zeichen für den Notausgang an der Wand. Ein Schild an einer Tür, eine Sonnenblume darauf, sie lässt ihren Kopf hängen. Mit dem Schnabelbecher in der Hand betrete ich die Hospizküche.

Mit dem Schnabelbecher

Dort isst ein Mann am Gemeinschaftstisch Kuchen und begrüßt mich freundlich. Die Katzen haben sich in Nummer drei versammelt, sagt eine Schwester zur anderen. Katzen riechen das Sterben. - Um den Lebenden das Sterben anzuzeigen, sind die Katzen also auch da, denke ich, und fühle mich durch die Doppelfunktion der Katzen plötzlich irritiert. Noch ein Stück gibt es, Herr Kovaric! Verhungern muss bei uns niemand, wendet sich die Schwester an den Mann. Er dreht sich zu mir und sagt: Jeden Tag kommt meine Tochter auf Besuch! Er wiederholt: Ja, jeden Tag kommt sie, die -, dann bricht er ab. Die, die -, sucht er. Die, die, kämpft der Mann mit dem Vergessen, und ich nicke, als wollte ich gegen das alles - das Schwinden der Erinnerung, das Auftauchen der Katzen - annicken. Die, die, und seine Augen werden größer. Verzweifelt versuche ich, den Namen zu finden, aber schier unmöglich ist es, den richtigen Namen für die Tochter eines fremden Mannes auf Anhieb zu erraten, also nicke ich nur weiter. Und dann reagiert der Mann auf das Vergessen des Namens seines Kindes wie ein Kind: Er bricht in Tränen aus. Die fallen auf den Kuchen. Er wirft seinen Schnabelbecher um. Das Kindsein rinnt über die Tischkante, tropft auf den Boden. Es gibt noch ein Stück Kuchen, Herr Kovaric, sagt die Schwester, nimmt einen Schwamm, wischt über das Kindsein und drückt es aus.

Als ich zurückgehe, komme ich wieder vorbei an der Sonnenblume, die den Kopf hängen lässt, ich schaue auf das Türschild: Es ist Zimmer Nummer drei. Das Bild nicht bloß ein Bild, die Katze nicht bloß eine Katze. Ich möchte die Hände gegen die Augen pressen so wie die Frau ihre Hände gegen die Ohren. Ihr Bett eine Lücke sticht ins Auge. Fees eine Hand hängt gleich einer Puppenhand aus dem Bett, die andere liegt auf dem schwarzen Hundefell. Ein vornehmes Schnarchen - der Hund muss noch üben. Ich setze mich leise neben die Schlafenden, stelle den vollen Schnabelbecher auf die Rollablage, schiebe ein wenig zur Seite die Nierenschüssel aus Pappmaché. Daneben steht eine Speisekarte, wie im Restaurant.

Eine der Katzen steckt da den Kopf zur Tür herein. Ich erschrecke, flüstere: Das ist nicht Zimmer Nummer drei, das ist ein Restaurant! Sie schleicht herum, drückt sich an der Kastenwand entlang, der Hund bellt alarmiert. Fee öffnet die Augen. Wo bin ich?, fragt sie. Sterben, das vielleicht Intimste überhaupt, denke ich und frage mich, wie es sein muss, in einer unvertrauten Umgebung zu sterben. Ich blicke zum Eichhörnchen. Oder die letzte Zeit neben Unbekannten zu verbringen. Willst du wissen, was es heute zum Abendessen gibt?, ich klappe die Speisekarte auf und beginne vorzulesen: Donnerstag - Ist denn heute Donnerstag?, unterbricht sie mich. Ich nicke. Und welches Monat? Das Herausfallen aus Zeit und Raum, denke ich, ist schon ein Weggehen, bevor man weggeht.

Leb wohl, Höllenhund!

Der Hund leckt unterdessen erneut ihre Hand, wie in Zeitlupe streift das Rosa über das Weiß. So, als könnte er es für immer ablecken, das Feen-Weiß, nichts weiß er, denke ich, und ich halte Fee den Schnabelbecher an den Mund. Sie nimmt, wie ein Kind, den Schnabel zwischen die Lippen. Nicht wissen will ich, was ich weiß. Wo ist die Katze? Der Hund knurrt. Schlucken ist gar nicht mehr so leicht, sagt Fee. Ich sehe ihr in die Augen - und plötzlich bin ich es, die da liegt. Ich sehe diese Nichte zweiten Grades an meinem Bett sitzen, und für einen Bruchteil einer Sekunde verschiebt sich die Welt des Weggehens. Im Liegen gehe ich weg. Ohne weggehen zu können, gehe ich weg. Es klopft leise an der Tür. Wegen der Schmerzen würden wir kommen. Ich nicke, ja, kommen Sie wegen der Schmerzen. Bitte. Wir sehen uns bald, holt mich Fee aus dem Bett und setzt mich auf den Stuhl zurück. Ich bin wieder ich. Die Katze ist hinausgeschlüpft. Langsam stehe ich auf. In einer Woche bin ich aus Brüssel zurück, verspreche ich, und Fee lächelt: Belgisches Bier bring mir mit! Ich nicke und weiß, dass sie das sagt, damit ich gehen kann, sie gibt mir das Mitbringen mit, denn dort, wohin etwas mitgebracht wird, ist jemand, um das Mitgebrachte entgegenzunehmen.

Pass auf dich auf!, und ich küsse sie, ich sehe wieder auf die angeschwollenen Hände, keine Feenhände mehr, ich streichle darüber. Ins schwarze Fell greift sie noch einmal. Wie geht man, wenn jemand nicht bleibt? Ich mache ein paar Schritte, drehe mich um. Ich hebe meine Hand, sie hebt ihre, ich spüre das Winken.

Und Winken und Gehen wird plötzlich derselbe physiologische Vorgang. Ich kann nur gehen, indem ich winke, und so gehe ich bis zur Tür. Ich sehe ihr nach, und sie sieht mir nach. Im Türstock stocke ich. Einen Menschen das vielleicht letzte Mal zu sehen - wegen der Schmerzen, bitte! Der Hund hebt den Kopf. Dann Fee ihre Hand: Leb wohl, Höllenhund! Hundehaare bleiben auf dir zurück. Und ich gehe. Ich gehe, und ich winke, winke im Gang, winke im Lift, winke im Eingangsbereich. Hospiz Rennweg - und ich denke: Sterben und Rennen nebeneinander. Der Rollstuhlfahrer nicht mehr da. Herr Kovaric isst aber bestimmt noch ein Stück Kuchen.

Eine am Kopfende, am Fußende die andere, eine Dritte am Fensterbrett, auf dem Stuhl eine weitere, zusammengerollt. Ich habe es gewusst, bevor ich die Nummer wähle. Der Hund sieht mich an. Heute sind die Katzen gekommen, habe ich gewusst. (Anna-Elisabeth Mayer, Album, DER STANDADRD, 4./5.8.2012)