Selbstporträt aus dem Jahr 2010.

Foto: Liu Xiaodong Studio

Graz - Landschaftsmaler waren in Italien über Jahrhunderte sicher nichts Ungewöhnliches. Doch wenn Liu Xiaodong einherschreitet und sich dann mit großem, konzentriertem Gestus an ein Ölgemälde macht, dürfte das manchmal auch für Verwunderung sorgen. Etwa auf einer Mülldeponie in Neapel. Zu sehen ist diese Szene in einem der Filme über den chinesischen Maler, die mit einigen seiner jüngsten Werke im Kunsthaus Graz zu sehen sind.

Dort, wo sich Landschaften, Orte oder ganze Städte massiv verändern, sieht Liu Xiaodong besonders gerne hin. Und während er sie mit Pinsel und Farbe verewigt, lässt der Künstler auch diesen Arbeitsprozess von einem Filmteam festhalten. So entstand vor zwei Jahren gemeinsam mit dem taiwanesischen Filmemacher Hou Hsiao-Hsien der nostalgische, aber kitschfreie Film Hometown Boy über einen Heimkehrer.

Damals kehrte der heute zu den bekanntesten Malern Chinas gehörende Mann in seine Heimatstadt Jincheng zurück. Die Stadt lebte früher von Papierindustrie und leidet heute unter deren Rückgang. Die Serie kleinformatiger Ölbilder von Jugendfreunden, Verwandten und Orten seiner Kindheit, die selbst wie Filmszenen anmuten, sind in Graz mit einem ganz neuen Zyklus ausgestellt.

Dieser entstand eigens für die von Günther Holler-Schuster für die blaue Blase kuratierte Schau Prozess Malen. Xiaodong lebte einen Monat in der einstigen Industriestadt Eisenerz, die ihn an seine Heimatstadt erinnerte. Er beobachtete und malte die Menschen, Straßen oder das ehemalige Freibad, das am Gelände des abgetragenen Hochofens stand. Im Pool wachsen heute Bäume.

Gerade dieses Bild findet ein erstaunliches Pendant in einem aus der Hometown-Serie, das ebenfalls ein Schwimmbad zeigt, das sich die Natur zurückeroberte, nachdem es der Mensch vergessen hatte.

Die Eisenerzer Bilder sind allerdings großformatige, fast monumentale Bilder - während ihre Motive ihre große Zeit längst hinter sich gebracht haben. Auch in Eisenerz ließ sich Xiaodong während der Arbeit filmen. Das dabei entstandene Gesamtwerk ist dadurch ein vielschichtiges Spiel mit alten traditionellen und moderneren Techniken von Abbildung und Spiegelung.

In der dabei entstandenen Unendlichkeits-Spirale kann sich der Begriff Zeit auflösen. Ganz konkret passiert das in einem zweieinhalb mal drei Meter großen Bild namens The Fire of 1841, zu dem Xiaodong durch ein Bild des Biedermeiermaler Johann Max Tendler inspiriert wurde. Dieser hatte einen monarchistischen Fackelzug in einer Eisenerzer Straße gemalt, in die der chinesische Künstler zurückkehrt und sie aus demselben Blickwinkel malt.

Die Berge und selbst die Häuserzeilen scheinen unverändert. Doch vier schwarz gekleidete Jugendliche lungern neben einem Gebäude am linken Bildrand. Nur die Flammen aus dem Jahr 1841 schweben wie von Geistern getragen durch die leere Straße.

Der 49-jährige Xiaodong ist auch in seiner Heimat China, wo er in Peking lebt und arbeitet, ein subtiler, stiller, aber kritischer Beschreiber. Er zeigt vergiftete Seen oder die Auswirkungen von riesigen Staudämmen ungeschönt - und das in Öl. Und er versucht mit seinen Porträts den Menschen etwas mehr Individualismus und Menschlichkeit zurückzugeben, die seines Erachtens in der chinesischen Gesellschaft zu kurz kommen. Die kleinen Gemälde, etwa vom Arbeiter in Jincheng, der sein Baby im Arm hält, oder von einem Jugendfreund vor dessen Karaoke-Klub, sind allesamt Schnappschüsse mit einem Schuss Würde. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 1.8.2012)