"Hab wollen werden / behutsam und / bin Mensch": der ausgezeichnete Dichter Waterhouse.

Foto: Naomi Waterhouse

Die Welt beginnt mit einem Apfel. Die Welt beginnt mit einem Schwindel. Dazu Bach und Wiesen. Die Welt, die Naturdingwelt des Wiener Dichters Peter Waterhouse setzt ein mit Worten. "Der Apfel dreht sich / es ist ihm schwindlig / und dem Bach und den Wiesen." Wo sind wir jetzt? Und genauso, mit der Frage Wo sind wir jetzt?, war das Auftaktgedicht überschrieben, mit dem sein drittes Buch passim einsetzte, das 1986 erschien. "O ja: O nein. Warum nein? Warum nein? (Ein Rutschen mit uns, an uns / wird gerutscht; wir ja, wir nein. Man hält sich oftmals ungezählt auf zwischen Bäumen" lauten die ersten zwei Zeilen.

Seit seinen literarischen Anfängen, seit mehr als 30 Jahren, beschäftigt sich der 1956 in Berlin geborene, zweisprachig aufgewachsene Peter Waterhouse mit Sprache. Der Name der Sprache, Konstruktives Verfahren und süße Bestimmung, Gemeinschaft der Sätze, Ins Innere hinaus, so waren Poeme in passim tituliert. Und schon damals hieß eines Wiener Zeitstillstand und ein anderes Spaziergang als Himmelskunst. Die schwebende Himmelswortkunst des Peter Waterhouse hält bis heute an.

Die Bewegung des Gehens und Schweifens, des Schreibens über das Gehen und des Durchschweifens eines intensiv erlebten und intensiv analysierten Bilderweltenkosmos verbindet alle Bücher des Dichters, der über Paul Celan promovierte. Die Bewegung und das Sich-durch-Sprache-Bewegen verklammert seine frühen, im Grazer Droschl-Verlag erschienenen Bände Menz und Besitzlosigkeit Verzögerung Schweigen Anarchie mit jenen von 1986 und 1989, die Rowohlt verlegte ( passim und Sprache Tod Nacht Außen) und diese mit seinen jüngeren und jüngsten Büchern, die Waterhouse bei Folio in Wien (Blumen) und Urs Engeler bei Basel (Die Schweizer Korrektur, 1997) herausbrachte, die er Residenz (Die Geheimnislosigkeit, 1996) und Jung und Jung in Salzburg anvertraute, 2001 Prosperos Land, 2006 das monumentale Prosawerk Krieg und Welt und zuletzt, 2010, Der Honigverkäufer im Palastgarten und das Auditorium Maximum.

Bereits in passim stieß man auf ein zentrales Leitwort dieses Dichters, auf "Abwesenheit": "Der Name der Sprache heißt: Abwesenheit." Abwesenheit begreift Waterhouse, dieser gelehrte Dichter, aber nicht als Verlust, Vakuum oder Leere. Vielmehr handelt es sich um das Gegenteil: um ein Zurückholen, eine Unterhaltung, ein Erinnern, um einen erinnernden Dialog. Mit Literatur. Mit Sprache. Vor allem aber durch Sprache, durch Sprache als Tiefenbohrung und endoskopische Anverwandlung.

Und damit gelangt man zu den zweiten und dritten Aspekten seines Werks - zu Peter Waterhouse, dem Interpreten, der als analytischer Übersetzer in die Texte etymologisch geradezu hineinkriecht. Der vor zehn Jahren den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung zugesprochen und verliehen bekam. Der den Italiener Andrea Zanzotto übersetzte, die Gedichte Biagio Marins, die dieser im Gradeser Dialekt schrieb - dessen Poem Du bist spät endet ganz Waterhouse-artig: "Bin nur der Landstreicherwind / seit hunderttausend Jahren: / die Lieben sind nicht zu bewahren / die meine Trugbilder sind." Der Michael Hamburgers grandioses so menschen- wie baumfreundliches lyrisches Werk ins Deutsche übertrug und Journal des (ganz ähnlich Waterhouse) Spaziergängers und Wolkenbeobachters und englischen Jesuiten Gerald Manley Hopkins (1844- 1889). Friederike Mayröcker nominierte 1999 in einer Umfrage einer großen deutschen Zeitung seine Eindeutschung als ihr "Jahrhundertbuch".

Zartheit einer Landschaft

In seinem 1996 veröffentlichten Essay Von der Geheimnislosigkeit schrieb Waterhouse vom "Nachweis der Zartheit einer Landschaft" und meinte damit den japanischen Dichter Matsuo Basho und dessen poetisches Reisetagebuch Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland von 1689. Und meinte damit sich selber; und seine Pfade durchs Hinterland Österreichs und Europas. Doch weit entfernt von jeder Heimatkundebeschreibung sind seine Arbeiten. Darauf machte schon anlässlich des Erscheinens des 672 Seiten starken Vater-Geheimdienst-Buches (Krieg und Welt), das zwischen Friaul und Venetien, Slowenien, Österreich, dessen Grenzregionen und einem Nachkriegsdeutschland in überbordender Stille karusselliert, Wendelin Schmidt-Dengler aufmerksam. Es sind keine topografischen Schauplätze im Sinne einer kritischen Heimatabschilderung, meinte der Wiener Ordinarius, "vielmehr wird hier ein Terrain erkundet, in dem sich die Sprache behutsam üben muss". Hätte nicht der schottische, in der Bretagne lebende Autor Kenneth White die Schule der literarischen Geopoetik begründet, ungesehen hätte man Peter Waterhouse als Spiritus Rector poeticus vermutet.

In einem Gespräch gab er, der Natur-, also Welt-, also Menschendichter, zu bedenken: "Aber der Vorschlag, der an dieser Stelle gemacht wird, ist der, dass man die Sprache der Naturdichtung mit einer anderen Sprache verbindet, als Versuch. Es ist nur ein Versuch, diese vielleicht homogene Sprache mit einer ungeahnten anderen Kombination noch mal zu erweitern. Ist es möglich, die Höhe einer Blüte über dem Erdboden mit einem Maß anzugeben, das man bisher noch nicht bemerkt hat?"

Der letzte für Literatur mit dem Großen Österreichischen Staatspreis gekürte Autor war der Kärntner Josef Winkler. Ilse Aichinger erhielt den Preis 1995, Gerhard Rühm 1991 und 1989 Oswald Wiener. Und im letzten Jahr erhielt Waterhouse den Ernst-Jandl-Preis zugesprochen. Verwunderung darob brach nicht aus. Denn schon 2001 las man in Prosperos Land Zeilen, die an Jandl gemahnten, vor allem an dessen ernste und mit Bedacht gebrochene Gedichte in künstlich ungelenkem Deutsch, Zeilen wie: "Hab wollen werden / behutsam und / bin Mensch." Und das ist der Erzähler in Waterhouse' Honigpalast in Gänze. Er ist ganz gegenwärtig, darin sanft widerständig, so wenn er, auf dem Prellbock des Bahnsteigs 11 im Wiener Südbahnhof verharrend, den Lautsprecherdurchsagen im aufgelassenen Bahnhof lauscht, stundenlang, die - ein Mysterium der jüngeren österreichischen Technikgeschichte - noch immer ablaufen. Und doch ist der Mensch da in der Gegenwart bereits ungegenwärtig. So wie die leeren Perrons: nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern fast inexistent, wie die bald weggerissenen Baulichkeiten selber. Am Ende des Prologs zum zentralen Kapitel in Der Honigverkäufer im Palastgarten und das Auditorium Maximum zitiert der ungemein belesene Waterhouse den so anders gearteten Gilbert Keith Chesterton, der einmal über Charles Dickens, den englischen realistischen Romancier des Frühviktorianismus, der so anders war als er, der katholische Essayist, geschrieben hatte: " Unser Gedächtnis bewahrt niemals eine Tatsache, die wir bloß beobachtet haben; um sich einer Gegend immerdar erinnern zu können, muss man dort eine Stunde lang gelebt haben, und um irgendwo eine Stunde leben zu können, muss man für eine Stunde vergessen, wo man ist."

Waterhouse, "diesem von Inspiration und Präzisionskunst heimgesuchten Himmelskind der Poesie" (Friederike Mayröcker), gelang das Kunststück, sich in den letzten Jahren mit Preisen ehren zu lassen, die nach unterschiedlichen, fast konträren Autorinnen und Autoren benannt sind, Christine Lavant und Heimito von Doderer, Nicolas Born und H. C. Artmann. Waterhouse über das Leben, also das Schreiben, in dem er auch deren Positionen, vom Tragischen bis zum Kalauer, kombinatorisch zusammenführt: "Dichtung macht wahrscheinlich fortwährend, dass sie den Anfangszeitpunkt festhält und den nicht vergehen lässt. Das kann man aber auch noch als Antwort auf die Frage nach Erkenntnis ansehen. Das Festhalten des Anfangs, das fortwährende Festhalten des Anfangs ist eine Form der Erkenntnis."

Die Erkenntnis hat bei ihm eine Form - das Sehen. Und das Beschreiben in gebührender, zeitungemäßer Langsamkeit, mit Sorgsamkeit und inspirierter Achtsamkeit. "Fahrräder / gelehnt an den Bahnhof - / so, ohne Explosion, beginnt die Welt." Die Welt des heute mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichneten Peter Waterhouse. Diese Welt begrüßt er so: "Guten Tag, Kunst". Denn: "So muss man beginnen."   (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 28./29.7.2012)