Die Studierenden (hier versteckt hinter eigenen Kunstwerken) legen Wert auf Anonymität. Für Andreas S. (ganz links) ist der Prozess zu Ende, für seine drei Kolleginnen geht es in die Berufung.

Foto: Der Standard/Christian Fischer

Wien - Als Richter Gerald Wagner die Freisprüche verkündet, hebt unter den Zuhörerinnen und Zuhörern Jubel an. Die vier Beschuldigten, Studierende aus Wien, haben in den Gerichtssaal viele Freunde und Unterstützer mitgebracht: junge Leute aus der linken, durch die Uni-brennt-Bewegung, die Anliegen der Tierschützer - und nicht zuletzt durch das jahrelange Verfahren gegen diese - politisierten Szene.

Aber der Richter unterbricht die Freudenskundgebungen nach wenigen Sekunden. Um "zur Tat" zu sprechen, über die in diesem Prozess gegen Andreas S. (28), Joanna W. (24), Barbara W. (25) und Ines S. (23) verhandelt wurde. Das Anzünden von vier Müllcontainern - "Ich sage bewusst nicht Mistkübeln" - unter dem Vordach der Filiale des Arbeitsmarktservice (AMS) in der Wiener Redergasse am 27. Juni 2010 um 3 Uhr Morgen sei "keine Lappalie" gewesen. Es sei "sehr ärgerlich, es als solches zu bezeichnen".

Tatsächlich setzte Gutachter Wolfgang Fiala die Wahrscheinlichkeit, dass die Flammen ungelöscht über Fassade und durch Fenster in Gänge und Büros vorgedrungen wären, bei "95 Prozent" an. Wären Menschen im Gebäude gewesen - bis zur ersten Brandschutztür wären sie "wegen des Rauchs in Lebensgefahr gewesen", erläuterte der Experte am Donnerstag zu Verhandlungsbeginn. Den Schaden schätzte er auf "rund 100.000 Euro".

Monatelang observiert

Doch damit war es mit eindeutigen Festlegungen auch schon wieder vorbei. Denn so unbestritten der Umstand ist, dass ein Brandstiftungsversuch stattgefunden hat: Dass einer der vier Beschuldigten an ihm beteiligt war, blieb in dem Verfahren bisher ohne jeden Beleg - trotz monatelanger Observationen des Verfassungsschutzes im Uni-brennt-Milieu, Einsatz polizeilicher Vertrauenspersonen, Rufdatenerfassung, Computerauswertung.

Der ursprüngliche, von der Polizei erhobene Verdacht - Terrorismus - war von der Staatsanwaltschaft Wien mangels Substrats nicht aufgegriffen worden. Doch auch für die Brandstiftungsvermutung reichte die Beweislage offenbar nicht. Etwa in Sachen Bekennervideo, welches nach dem Brandanschlag im Internet verbreitet wurde. Es zeigt dunkle Gestalten mit langem Haar in schwarzer Nacht vor brennenden Containern und ist mit AMS-feindlichen Slogans unterlegt.

Laut der Anklage soll Beschuldigter Andreas S. das Video hochgeladen haben. Doch wann und wie er sich am Tag nach dem Brand bei der Internetseite einloggte, schied beim Verfassungsschutz die Geister. Um 3.17 Uhr, besagt ein Bericht vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT), um 15.17 Uhr einer des gleichnamigen Bundesamtes (BVT).

"Wo und wie wer und was hochgeladen wurde, weiß man schlicht nicht", schloss daraus Richter Wagner, der die Verhandlung streng, aber fair leitete. Auch in Sachen Rufdaten stellte er den Ermittlern ein schlechtes Zeugnis aus: Nach dem ersten Verhandlungstag im März habe er sich nach dem Inhalt einer aktenkunddigen SMS erkundigt. "Das war leider nicht mehr möglich."

In ihrem Plädoyer forderte Staatsanwältin Nina Mayrgündter die Bestrafung der Studierenden im Sinn der Anklage. Die Beweislage sei ausreichend - und die vier ließen außerdem erkennen, dass sie die österreichischen Gesetze nicht akzeptierten.

Verteidigerin Anja Oberkofler hielt dem die "nichtexistierenden Beweise" und "Auswüchse der polizeilichen Ermittlungstätigkeit" entgegen: Die vier Studiereden saßen wochenlang in U-Haft. Den Freispruch des Schöffengerichts akzeptiert Mayrgündter nur bei Andreas S. Bei den drei Frauen legte sie Berufung ein. (Irene Brickner, DER STANDARD, 28./29.7.2012)