Halle/Berlin - Bioenergie kann nach Einschätzung führender deutscher Wissenschafter bei der sogenannten "Energiewende" in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle spielen. In einer Studie kommt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zu dem Schluss, dass entgegen den Plänen der deutschen Regierung auf den Ausbau der Energieerzeugung aus nachwachsenden Rohstoffen verzichtet werden sollte. Im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energiequellen wie Sonnen- und Windenergie verbrauche Bioenergie mehr Fläche und sei häufig mit höheren Treibhausgasemissionen und Umweltbeeinträchtigungen verbunden. 

Die Studie wurde von zwanzig namhaften Wissenschaftern der Arbeitsgruppe Bioenergie der Leopoldina verfasst. Die Leopoldina ist dem Gemeinwohl verpflichtet und steht unter der Schirmherrschaft des deutschen Bundespräsidenten. Sie berät Politik und Wirtschaft in wissenschaftspolitischen Fragen.

Die Knackpunkte

Zwar stimme es, dass bei der Bildung von Biomasse prinzipiell so viel klimaschädliches Kohlendioxid aufgenommen wie später bei der Verbrennung wieder freigesetzt werde. Damit die Pflanzen aber gediehen, müssten sie gedüngt werden. "Düngung führt allerdings zu Emissionen von Stickstoff-basierten Treibhausgasen", heißt es in der Studie. Diese Gase hätten ein höheres Erwärmungspotenzial als Kohlendioxid.

Einen weiteren Minuspunkt sehen die Autoren der Studie im umfangreichen Import vor allem von Futtermitteln. Dabei wird die Rechnung aufgemacht, dass auf mehr deutschen Feldern Futtermittel angebaut würden, wenn dort nicht Energiepflanzen kultiviert würden. Durch die Importe von Futtermitteln und anderer Biomasse würden aber die Risiken einer intensiven Landwirtschaft exportiert.

Die Wissenschafter monieren auch, dass bei der Bilanz der Bioenergie nicht berücksichtigt wird, wie viel Kohlendioxid bei Verarbeitung und Transport von Biomasse anfällt. Und schließlich würden die Monokulturen etwa von Mais - der energiereichsten Nutzpflanze - die Artenvielfalt auf dem Land bedrohen mit negativen Folgen für den Umweltschutz insgesamt.

Schlussfolgerungen

Die Experten empfehlen der deutschen Regierung daher, beim Ausbau erneuerbarer Energien auf Solar- und Windenergie zu setzen und Energiesparmaßnahmen voranzutreiben. Im Bereich der Bioenergie sollte nur jene Energiegewinnung gefördert werden, die nicht zur Verknappung von Nahrungsmitteln führt oder Preise für Land und Wasser hochtreibt.

Das Umweltministerium in Berlin nannte die Studie immerhin einen "wertvollen Diskussionsbeitrag". Der deutsche Biokraftstoffverband indessen monierte, die Wissenschafter würden bei ihren Überlegungen nicht berücksichtigen, dass es keine Alternative zum Biokraftstoff beim Ersatz fossiler Brennstoffe gebe. Außerdem unterliege die Produktion von Biomasse für Biokraftstoffe Beschränkungen, so das dafür etwa keine schützenswerte Flächen wie Torfmoore verwandt werden dürften.

Die Bioenergie macht in Deutschland derzeit knapp 70 Prozent des Aufkommens aller erneuerbaren Energien aus, der größte Anteil entfällt dabei auf Holz. Mehr als 14 Prozent des erneuerbaren Stroms und fast zwölf Prozent der erneuerbaren Wärme werden derzeit aus Biogas gewonnen.(APA/red, derStandard.at, 27. 7. 2012)