Christoph Chorherr beim Abtransportieren von Anti-Parkpickerl-Unterschriften: Die Wiener Grünen verweigern eine Volksbefragung in dieser Angelegenheit.

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Franz Klug.

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Der Ausgang der Grazer Volksbefragung und die Verweigerung einer Volksbefragung in Wien zeigen nicht, wie Eric Frey (DER STANDARD, 21.7.) meint, die Grenzen direkter Demokratie, sondern den falschen Umgang der Politik mit diesem direktdemokratischen Instrument. Generell ist zu beobachten, dass leider alle Parteien, von der Bundespolitik bis zur Gemeinderatspolitik, den Joker Volksbefragung/Volksabstimmung nur ziehen, wenn er in ihr parteipolitisches Kalkül passt.

Zur Erinnerung: Bürgermeister Häupl entdeckte auf Stadtebene zuerst die Volksbefragung als politisches Wahlkampfinstrument. Er schreckte im Februar 2010 die anderen Parteien mit seiner Volksbefragung, um vor den Gemeinderatswahlen für die Stadt wichtige Themen abzuklären und so der Opposition auch wichtige Wahlkampfthemen wegzunehmen.

In Graz wiederholte sich dieses politische Spiel. Bürgermeister Nagl überraschte die anderen Parteien im Februar 2012 mit einer ÖVP-Volksabstimmung, bei der er für Graz relevante Themen abklären ließ. Mit dieser Aktion landete er gleich einen Doppelschlag gegen seine politischen Gegner. Einerseits suggerierte er Bürgernähe, anderseits klärte er wichtige Themen für die kommende Gemeinderatswahl ab. Bei dieser ÖVP-Volksbefragung, an der nur über 30.000 Personen teilnahmen, stimmten im Februar 2012 noch mehr als die Hälfte, 58,8 Prozent, für eine Umweltzone.

Die zweite Volksbefragung, im Juni/Juli, über den Ankauf der Reininghausgründe und die Einführung einer Umweltzone, war demokratiepolitisch breiter angelegt, da sie über einen Gemeinderatsbeschluss umgesetzt wurde. Mit einer Beteiligung von über 70.000 Stimmen war sie wesentlich erfolgreicher als die erste Befragung. Trotz dieser starken Steigerung der Wahlbeteiligung verlor Bürgermeister Nagl die Abstimmung.

SPÖ, KPÖ, FPÖ, BZÖ mobilisierten massiv gegen den Kauf der Reininghausgründe, und bei der Mobilisierung gegen die Umweltzone wurde dieses Anti-Nagl-Parteienbündnis dann noch von der Autofahrerlobby und dem Wirtschaftsflügel der ÖVP unterstützt. Das Grazer Ergebnis zeigt, dass Bürgermeister Nagls politische Strategie, die Volksbefragung als Kampfinstrument gegen den Gemeinderat einzusetzen - frei nach dem Motto " Wenn mir die Parteien im Gemeinderat nicht folgen, dann mache ich, König Nagl, eben meine Politik mit dem Volk" -, gescheitert ist.

Demokratieferne Praxis

Die Grünen, die bei der Gründung als Demokratieerweiterungspartei angetreten waren, schwanken zwischen demokratiefreundlicher Rhetorik und demokratieferner Praxis. Es ist ärgerlich, dass die Wiener Grünen, wenn sie an die Regierung kommen, auf einmal - da hat Wolfgang Müller-Funk leider recht - einer josephinischen Praxis das Wort reden und genussvoll Anti-Parkpickerl-Unterschriften abtransportieren, statt genussvoll geforderte Volksbefragungen/Volksabstimmungen vorzubereiten und umzusetzen.

Wenn jetzt die Wiener SPÖ/Grünen der Opposition eine gewünschte Volksbefragung verweigern, zeigt dieses Verhalten, dass die Parteien, leider auch die Grünen, dieses Mittel nur einsetzen wollen, wenn es ihnen politisch passt. Die Unglaubwürdigkeit in Sachen Demokratiepolitik der Grünen wird daher auch zu Recht von Eric Frey kritisiert.

Diese zeigte sich bereits, als Häupl 2010 Volksbefragungen als politisches Kampfmittel entdeckte. Statt damals mit der SPÖ darum zu ringen, wie man am besten Volksbefragungen vorbereitet und nach einem Debattenprozess umsetzt, stellten sich die Wiener Grünen gegen die Häupl-Volksbefragungsaktion. Auch in Graz versagten die Grünen im Umgang mit der direkten Demokratie. Verschnupft von Bürgermeister Nagls Vorstoß für mehr direkte Demokratie, vergaben die Grazer Grünen die Chance, sich als die führende Partei für mehr direkte Demokratie zu etablieren.

Die Grünen kämpften nicht dafür, dass bei der Volksbefragung über die Umweltzone mindestens zwei Umsetzungsvarianten zur Abstimmung bereitstehen. Da ja in Graz alle Parteien für die Verringerung der Umweltbelastung sind und nur der Weg dahin umstritten ist, hätte man sich im Gemeinderat auf zwei bis drei Varianten zur Verringerung der Umweltbelastung einigen und diese dann zur Abstimmung vorlegen können.

Durch die derzeitige schlechte politische Praxis, Volksbefragungen und Volksabstimmungen als strategisches Kalkül für parteipolitische Machtinteressen einzusetzen, erweist man dem Instrument Volksbefragungen und Volksabstimmungen keinen guten Dienst. Es droht die Gefahr, dass sie sich als längst überfällige Bereicherung unserer Parteiendemokratie nie richtig entwickeln können, da eigentlich alle Parteien diese demokratischen Instrumente zurzeit nur als parteitaktisches Kalkül und nicht als Grundnahrungsmittel einer echten demokratischen Kultur einsetzen. (Franz Klug, DER STANDARD, 27.7.2012)