Zum ersten Mal seit Ausbruch der akuten Finanzkrise ist José Manuel Barroso in Athen aufgetaucht. Ein Sprecher des EU-Kommissionspräsidenten nannte das einen "Routinebesuch", so als ob der Absturz eines Mitgliedstaats der Union die normalste Sache der Welt wäre und Barroso an einem Donnerstagnachmittag einmal kurz nach Athen Hände schütteln geht, weil sein Terminplan im Hochsommer ohnehin Lücken hat.

Das ist natürlich Unsinn. Der Kommissionspräsident versucht die Märkte zu beruhigen und die neue griechische Regierung zu unterstützen. Dass er so spät nach Athen kam, ist das eigentliche Problem - dass die meisten Staats- und Regierungschefs der EU seit 2010 keinen Fuß nach Griechenland setzten, das noch viel größere Versagen.

Die Griechen machen ihre Politiker für die Zerrüttung der Staatsfinanzen und das selbstzerstörerische System der Klientelwirtschaft verantwortlich. Die wenigsten nehmen sich selbst an der Nase. Doch die Enttäuschung über Europa, das Gefühl der Erniedrigung und die täglichen billigen Moralpredigten von Provinzpolitikern zwischen Kärnten und Schleswig-Holstein sind die andere Seite dieser Krise.

Zwei enorme Rettungskredite von aufgerechnet 174 Milliarden Euro haben die Europäer und zu einem kleinen Teil der IWF den Griechen gegeben. Eine Solidaritätsaktion ist daraus nicht geworden. Schon eher eine Kapitulationsurkunde, die Griechenland nicht vergessen wird. (Markus Bernath, DER STANDARD, 27.7.2012)